Der schwar­ze Sack – Risi­ken und Chan­cen des lang­sa­men Gewöhnungseffekts

Mere Expo­sure und Gruppendynamik

Stel­len Sie sich vor, dass ein schwar­zer Sack an Ihren Mee­tings teil­nimmt. Gäbe es einen Auf­schrei, Unru­he, Fra­gen? Wahr­schein­lich wür­den Sie sich dar­an gewöh­nen, so wie auch die Mas­ke in Coro­­na-Zei­­ten nor­mal gewor­den sind. Das nennt sich Mere-Expo­­su­re-Effekt. Er hat gute und eini­ge gefähr­li­che Sei­ten. Was Sie für die Arbeit mit Grup­pen vom schwar­zen Sack ler­nen kön­nen, lesen Sie hier.

1968, Ore­gon Uni­ver­si­ty. Jeden Mon­tag, Mitt­woch und Frei­tag hat der schwar­ze Sack sei­nen Auf­tritt im Hör­saal, Punkt 11 Uhr. Offen­sicht­lich ist ein Mensch dar­un­ter — stumm, mit nack­ten Füs­sen. Erst stö­ren sich die Kom­mi­li­to­nen an dem selt­sa­men Gast, begeh­ren auf, fra­gen, was „der da“ denn sol­le. Es gibt kei­ne Ant­wor­ten. Dann gewöh­nen sie sich an ihn. Irgend­wann läuft der Mensch im schwar­zen Sack mit, als hät­te er immer schon dazugehört.

Der Sozi­al­psy­cho­lo­ge Charles Göt­zin­ger führ­te die­sen Ver­such unter dem Namen „Black Bag Expe­ri­ment“ durch. Er reiht sich in zahl­rei­che Stu­di­en, die den „Mere Exposure“-Effekt nach­wei­sen. Die Erkennt­nis: Erst stö­ren wir uns an Neu­em, Unge­wöhn­li­chen, Ande­rem. Wir regen uns auf, echauf­fie­ren uns.  Aber auch: Die Merk­fä­hig­keit steigt, wes­halb der Effekt in der Wer­bung sehr beliebt ist. Recht schnell gewöh­nen wir uns an das, was wir zunächst ableh­nen. Es wird All­tag – “neue Nor­ma­li­tät”. Kommt Ihnen das bekannt vor? Aber natür­lich. Noch im April 2020 hiel­ten es Exper­ten wie Alex­an­der Kekulé für aus­ge­schlos­sen, dass eine west­li­che Kul­tur das Mas­ken­tra­gen zulas­se. Sie hat­ten die Rech­nung ohne den „Mere Expo­­su­re-Effekt“ gemacht.

Den Mere-Expo­­su­re-Effekt kön­nen Sie in der Orga­­ni­­sa­­ti­ons- und Team­ent­wick­lung ganz gezielt ein­flech­ten — und nicht nur schwar­ze Scha­fe auf die­se Wei­se integrieren.

Aber Ach­tung, ande­re Effek­te könn­ten Ihnen einen Strich durch die Rech­nung machen und die Wir­kung beeinflussen.

Top‑5: Mere Expo­sure in der Grup­pen­dy­na­mik einsetzen

1. Begin­nen Sie mit einer ordent­li­chen Irritation

Nein, wir Men­schen bewe­gen uns nur, wenn es sein muss und wir emo­tio­nal berührt sind.

Erwar­ten Sie des­halb kei­ne freu­di­ge Begeis­te­rung, wenn sie auch nach der Pan­de­mie über­wie­gend Remo­te arbei­ten wol­len oder grund­le­gend ande­res Füh­rungs­ver­hal­ten eta­blie­ren möch­ten. Jede zu gro­ße Zustim­mung aus Kol­lek­tiv, Grup­pe oder Team ist fast schon ver­däch­tig. Also nicht zu vor­sich­tig sein.

Irri­ta­tio­nen sind aller­dings auch kein Selbst­zweck. Die Fra­ge ist immer, was Sie mit einem Vor­ha­ben errei­chen wol­len, das Ziel dahin­ter. Und aus wel­cher Rol­le her­aus. Sind Sie die­je­ni­ge, die aus der Beob­ach­tung zwei­ter Ord­nung durch eine Rück­mel­dung zum Grup­pen­ver­hal­ten irri­tiert? Oder ist es eine Ver­än­de­rung äuße­rer Gege­ben­hei­ten, die Sie bespre­chen oder gar als Füh­rungs­kraft durchsetzen?

Die Chan­ce: Irri­ta­ti­on schubst Men­schen viel­leicht vom Mount Stu­pid. Sie führt, wenn das gelingt, aber auch zu einer Ver­un­si­che­rung. Men­schen stel­len etwas in Fra­ge, was vor­her sicher schien. Lewin sprach in sei­ner Theo­rie von „Unfree­zing“ – wenn etwas auf­taut, wird dar­un­ter Ande­res sicht­bar. Nicht immer sind die The­men unter dem Eis erfreu­lich, etwa wenn sich Schat­ten­the­men zeigen.

Das Risi­ko: So sind wir auch beim Risi­ko. Irri­ta­ti­on braucht psy­cho­lo­gi­sche Robust­heit (nen­nen wir es „Resi­li­enz“), ordent­lich Rücken­de­ckung und eine sehr gute Bezie­hungs­ebe­ne, denn den Ver­stand erreicht man über das Gefühl und nicht über Argu­men­te (was gera­de Ratio­na­lis­ten nicht ver­ste­hen wollen).

2. Blei­ben Sie konsequent

Wider­stand gehört dazu. Man kann auch sagen: Ohne Wider­stand ist nicht ent­schie­den wor­den. Das heißt auch, man soll­te nicht bei jeder Stö­rung sofort zurück­ru­dern, weil sie eben dazu­ge­hört. Das „Neue“ oder Ande­re muss erhal­ten blei­ben, bis es eben nicht mehr (so) stört.

Die Chan­ce: Der „mere exposure“-Effekt zeigt auch, dass die Stö­rung nicht all­zu mas­siv sein darf. Der schwar­ze Sack stör­te am Ende nicht. So wie der „Clean Desk“ anfangs auf­regt, aber irgend­wann kein The­ma mehr ist. Die Mas­ke trägt ein gro­ßer Teil mit, aber… Den­ken Sie sich den Rest.

Das Risi­ko: Womit wir beim Risi­ko sind. Schwie­ri­ger wird es bei The­men, die den indi­vi­du­el­len Radi­us stark ein­schrän­ken sowie grö­ße­ren Grup­pen, in denen der In- und Out-Grup­­pen-Effekt dazu­kommt. Wenn sich „Wider­stands­grup­pen“ bil­den, deren Nar­ra­tiv „dafür“ oder „dage­gen“ ist. Aus Sicht der Grup­pen­dy­na­mik ist es sehr viel bes­ser, wenn der Wider­stand inte­griert und dar­über gespro­chen wer­den kann. Es braucht eine Mit­te, die inte­griert und ver­bin­det. Ganz schwie­rig, wenn die Gauss­sche Glo­cken­kur­ve ihre Form verliert….

3. Zei­gen Sie das „neue Normal“

Die Coro­na­pan­de­mie hat uns allen ein­drück­lich ver­mit­telt, wie schnell wir uns an schwar­ze Säcke und wei­ße Lap­pen (im Gesicht) gewöh­nen. So sehr, dass wir plötz­lich nie, nie mehr in einen 8‑qm-Fahr­­stuhl gehen wür­den, der 8 Per­so­nen und 600 Kilo­gramm zulässt (was vor weni­gen Mona­ten noch ganz nor­mal war).

So sehr, dass wir irri­tiert sind, wenn Leu­te tan­zen und dies fast als sub­ver­si­ves Ver­hal­ten wer­ten. Wich­tig sind Vor­bil­der. Es waren erst ein­mal eini­ge weni­ge Stu­den­ten, die den schwar­zen Sack ganz nor­mal behan­del­ten. Es sind zunächst ein­mal eini­ge weni­ge, die ganz selbst­ver­ständ­lich mit einem neu­en The­ma umge­hen… Wenn die dann sagen, das ist nor­mal, dann wird es normal.

Die Chan­ce: Wir kön­nen etwas Neu­es ler­nen, das uns die Anpas­sung an eine ver­än­der­te Umwelt ermög­licht. „Nor­mal“ ver­än­dert sich dau­ernd, denn „nor­mal“ ist nichts als ein gefühl­ter Wert sozia­ler Nor­men, der wie eine Art Fie­ber­ther­mo­me­ter das Ver­hal­ten misst. Neue Nor­men zu set­zen ist immer mög­lich, braucht aber neue Kon­tex­te oder neue Nar­ra­ti­ve für Kon­tex­te, die glaub­wür­dig sind.

Das Risi­ko: Das „neue Nor­mal“ führt dazu, dass wir dau­er­haft auf Errun­gen­schaf­ten ver­zich­ten und immer weni­ger auf­schrei­en, wenn die­se nach und nach ver­schwin­den. Es ist das ewi­ge Rin­gen um Tra­di­ti­on (Bewah­ren) und Fort­schritt (Ver­än­dern), wobei bei­de unbe­merkt ihre Posi­ti­on tau­schen können…

4. Begrü­ßen Sie den Widerstand

Wider­stand ist ein Zei­chen dafür, dass wir das Unge­wohn­te bemer­ken, nicht mehr und nicht weni­ger. Der Rest ist oft ®eine Ratio­na­li­sie­rung des durch die Stö­rung aus­ge­lös­ten Gefühls. Ver­lie­re ich etwas? Muss ich etwas ändern?

Die Chan­ce: Was ist das durch die im Pro­zess akti­ven Per­so­nen ver­mit­tel­te und ange­bo­te­ne Nar­ra­tiv? Könn­te es sein, dass der schwar­ze Sack mehr Viel­falt bringt? Dass es also kei­nes­falls um Ver­lust, son­dern im Gegen­teil sogar um Gewinn geht? Bie­ten Sie neue Per­spek­ti­ven an.

Das Risi­ko: Mani­fes­tier­ter Wider­stand ist Wider­stand, der sich im Stil­len bil­det. Wider­stand ver­fes­tigt sich, wenn nicht dar­über gespro­chen wird und die Wider­ständ­ler eige­ne Grup­pen mit selbst­ver­stär­ken­den Effek­ti­ven bil­den, wenn Beden­ken ertränkt und im Keim erstickt wer­den. Wenn man dem Wider­stand die Wür­de nimmt. Dann sucht er sich neue sozia­le Kon­tex­te und ver­stärkt sich.

5. Suchen Sie die Moral von der Geschicht´

Ein Mensch im schwar­zen Sack gehört zunächst nicht dazu und wird dann auf­ge­nom­men. Das gelingt leich­ter, wenn es an pas­sen­de mora­li­sche Pla­teaus ando­cken kann. Nach der „Moral Foun­da­ti­ons“ Theo­rie von Jona­than Haidt sind das Für­sor­ge, Fair­ness, Frei­heit, Loya­li­tät, Auto­ri­tät und Hei­lig­keit, die bei Men­schen unter­schied­lich aus­ge­prägt sind.

Die Chan­ce: Man kann den schwar­zen Sack in allen fünf mora­li­schen Facet­ten deu­ten, die Inte­gra­ti­on von Neu­em ist also durch­aus fle­xi­bel und lässt sich in ver­schie­de­ne Kon­tex­te brin­gen – was viel­leicht auch erklärt wie­so The­men wie „Agi­li­tät“ und damit ver­bun­de­ne Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on auch in tota­li­tä­re Sys­te­me ein­drin­gen kön­nen, aber über­all sehr unter­schied­li­che Blü­ten treiben.

Das Risi­ko: Zu viel Belie­big­keit wie­der­um sorgt eben­so wie ein all­zu kla­rer Ver­stoss gegen ein mora­li­sches Fun­da­ment für Pola­ri­sie­rung. In ein und dem­sel­ben Sys­tem sind nicht all­zu vie­le Deu­tungs­mög­lich­kei­ten ange­bracht. Ein Grund für die zuneh­men­de Pola­ri­sie­rung in der Pan­de­mie ist ver­mut­lich auch mora­li­sche Vieldeutigkeit.

Fra­gen Sie sich: Wo und was ist der schwar­ze Sack in Ihrem Ver­än­de­rungs­vor­ha­ben? Wel­che Rol­le habe ich? Wie könn­te ein lang­sa­mer Gewöh­nungs­ef­fekt aus­se­hen? Wel­ches Nar­ra­tiv bie­tet sich an? Und was tun Sie, um den natür­li­chen Wider­stand so zu inte­grie­ren, dass kei­ne nega­ti­ve Grup­pen­po­la­ri­tät entsteht.

Zu den mora­li­schen Foun­da­ti­ons emp­feh­len wir:

  • Jona­than Haidt (2013): The righ­tous mind. Why good peo­p­le are devi­ded by Poli­tics and Reli­gi­on, Fra­ge­bö­gen unter https://moralfoundations.org

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