Facilitation: Wie sich Organisationen ohne Druck bewegen
Buchrezension Facilitation: Dialog- und Handlungsorientierte Organisationsentwicklung

Allein das Wort Change löst bei nicht wenigen regelrechte Allergien aus. Wie wäre es, wenn Wandel ganz leicht ginge? Die Methode Facilitation unterscheidet sich in der Haltung von Moderation. Sie kann auch ein Ansatz zur Team- und Organisationsentwicklung sein. Wir sagen, worauf es ankommt.
Stuhlkreis — seid ihr verrückt? Manche unserer Ausbildungsteilnehmer haben keine so guten Erfahrungen mit zeitgemäßen Methoden. Selbst dort, wo sich die Manager “agil” auf die Schaubühne schreiben.
In konservativen Strukturen sickert so zwar das Wort “agil” ein — nicht aber das, was dazugehört. Und das ist ein demokratisches ein Verständnis von selbstbestimmten Menschen, die die Lösungen für ihre Probleme selbst finden können. Facilitation ist somit nicht nur Erleichterung, sondern auch Befreiung — etwa von der Bürde das Ist-Soll-orientierten “Change”.
Was ist Facilitation?
Facilitation ist eine Form der Moderation, die die Haltung in den Vordergrund rückt. Es geht nicht darum, in eine bestimmte Richtung zu führen oder nur den Prozess zu begleiten. Es geht darum, auch und gerade Komplexes auf verschiedenen Ebenen leicht zu machen.
Die Autoren Holger Scholz und Roswita Vesper beschreiben die Facilitation in ihrem Standardwerk (Vahlen, 2o22) als “Denk- und Lebensschule, als Handwerk und Kunst zugleich:
- Denk- und Lebensschule, weil es um Wahrnehmungen und Interpretation von Wirklichkeit geht.
- Handwerk, weil es Vorgehensweisen gibt, an denen man sich orientieren und in denen man “Meisterin” werden kann. In dem man von anderen lernt und durch Feedback besser wird.
- Kunst, weil etwas entsteht, was vorher nicht planbar ist — und zwar kollektiv, gemeinsam.
Im Unterschied zur klassischen Moderation ist der Blick dabei auf drei Schüsseln gerichtet:
- Content,
- Process und
- Context.
Bei mancher Moderation steht nur eines davon im Mittelpunkt. Deshalb kann Facilitation auch als zeitgemäßer, integrativer Moderationsstil bezeichnet werden, der sich auch und gerade für größere Gruppen eignet.
Bewegung bewegt, Change lässt erstarren
Nun ist Facilitation keine agile Methode. Sie ist aber agilen Denken verwandt, dass die Notwendigkeit von Action und Reflection ebenso sieht wie den Vorteil von Beteiligung.
Neu ist das nicht: In der Organisationsentwicklung ist seit Kurt Lewins Zeiten bekannt, dass Top-Down-Change zu allem führt, nur selten zur gewünschten Bewegung. Und so ist auch der im Coaching bekannte Grundsatz der absichtslosen “Hilfe zur Selbsthilfe” für tayloristisch geprägtes Denken immer noch befremdlich. Es braucht für Facilitation die Grundannahme, dass Lösungen nur aus dem System selbst heraus entstehen können. Das ist in vielen Umfelder zwar theoretisch, aber selten gefühlt verankert. Wer da tiefer einsteigen will: Über den Unterschied Bewegung und Change habe ich in meinem persönlichen Newsletter in der Kolumne “Hört auf mit dem Change” geschrieben.
Haltung vor Verhalten
Dass ein Fool mit Tool ein Fool bleibt, ist bekannt. Es geht um Haltung, aus dem sich Verhalten ableitet. Ich kann die gleiche “Wunderfrage” mechanisch stellen oder mit voller Konzentration auf den anderen sowie Vertrauen in die Selbstlösungskräfte der Gruppe. Was diese Haltung ausmacht, schreiben die Autoren des überaus liebevoll gestalteten Buchs sehr genau. Sie sprechen von ihren Grundannahmen, erzählen, wie sie herangehen.
Willkommen im Kreis
“Willkommen im Kreis”, so begrüßen die beiden Autoren gerne Teilnehmer in Meeting und Workshops. Mit dem Kreis geht Symbolkraft einher. “Wir teilen die Verantwortung für die Qualität”, so ein weiterer Grundsatz. Facilitatoren legen ihr Augenmerk auf das was sich im Hier und Jetzt zeigt.
Was mir gut gefällt ist, dass das vermittelte Wissen nicht als eigenes verkauft und neu verpackt wird. Das machen zu viele andere. Nein, Scholz und Vesper sagen auf wessen Schultern sie stehen und haben ordentliche und ausführliche Quellennachweise eingebracht.
Kollektives Lernen
So wird die Learning Curve von Marvin Weisbord auch diesem Urheber zugeordnet. Wiesbord ist auch der Urheber des Six-Boxes-Modell, dass wir manchmal verwenden.
Die Learning Curve zeigt wie sich unsere Perspektiven beim Lernen historisch und mit zunehmender Komplexität entwickelt haben. Zunächst ging es darum, dass alle in einem Unternehmen Probleme lösen. Dann lösen Experten Probleme, bevor dann Experten ganze Systeme verbessern und schließlich alle an der Verbesserung ganzer Systeme arbeiten. Da sind wir jetzt.
Der Fokus liegt ergo auf Co-Kreation und kollektiver Intelligenz. Daraus ergibt sich als Motto der Facilitation “Community building first, Decision Making Second und Partizipation zum frühestmöglichen Zeitpunkt
Die Inhalte in dem Buch waren mir nicht neu. Ich habe sie aber noch nie so kompetent und sinnvoll zusammengestellt gesehen. Dabei ist auch der Text keineswegs Zusatz zum Bild wie in mancher aus meiner Sicht oft zu bildlastigen Werke.
Es folgen im Buch ausführliche Streifzüge etwas zur Real Time Strategic Change (RTSC) oder dem Gedanken von Marvin Weisbrod und Sandra Janoff “das ganze System in einen Raum holen.
Wichtige Formate, die im Buch beschrieben sind:
- Future Search (Zukunftskonfernez)
- Open Space Technology
- RTSC (Real Time Strategic Change)
- Appreciative Inquiry
- The Circle Way
- World Cafe
- Dynamic Facilitation
Bildhaftigkeit ist bei allen Ansätzen wichtig. So werden sich Menschen leichter orientieren wenn sie im Norden nach der Intention, im Osten nach der Preperation, im Süden nach Co-Kreation und im Westen nach Harvesting (Ernten) suchen. Die Idee der auch räumlich getrennten Prozesse hatte ja schon Walt Disney, allein dass es inzwischen einige Belege für deren Überlegenheit beim Lernen gibt.
Viele Details für Strukturfreaks
Einige Formate, etwa Dynamic Facilitation sind sehr detailliert beschrieben. Für Strukturfreaks gibt es sogar genaue Zeitpläne im 5 bis 15 Minuten-Takt. Dabei wird gelegentlich auch der Blick auf größere Organisationen geworfen, wo beispielsweise 12 Personen zufällig ausgelost werden, um Konflikte und Probleme stellvertretend zu lösen.
Großen Raum bekommen die “Visual Facilitation” und neurowissenschaftliche Aspekte. Hier beziehen sich die Autoren vor allem auf David Rock, dessen SCARF-Modell auch wir verwenden. Die Online-Facilitation bekommt ebenso den Stellenwert, der ihr gebührt. Dazu gibt es Tipps für “Seelenstupser” im Chat, als bewusste positive Verstärkung, um die Nachteile fehlender Raumerfahrung auszugleichen.
Viel vom Facilitation-Handwerk lernen auch unsere Teamgestalter bei TeamworksPLUS. Wir setzen allerdings mehr auf breite Grundlagen-Qualifikation. Faciliation könnte eine Weiterentwicklung für Teilnehmende sein, die Spaß an der Arbeit mit großen Gruppen haben.
Fazit:
“Facilitation. Dialog- und Handlungsorientierte Organisationsentwicklung” ist ein wirklich tolles Buch von Vahlen, das das Zeug zum Standardwerk hat. 450 Seiten sind liebevoll aufgebaut mit einer angemessenen Zahl an Bildern, Tabellen, Übersichten und einem gut lesbaren Text. Man liest dem Buch an, dass sehr viel Arbeit darin steckt. Eine Top-Empfehlung für alle, die mit Gruppen arbeiten, Einsteiger wie Fortgeschrittene.
Zur Transparenz: Das Buch wurde mir Zur Verfügung gestellt, ich bin aber nicht mit den Autoren bekannt. Und wer mich kennt weiß, dass ich keine Gefälligkeitsrezensionen schreibe 😉
Foto von Alena Darmel: https://www.pexels.com/de-de/foto/kreativ-laptop-buro-internet-7710111/
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