Group Mind­ness: War­um uns Zusam­men­ar­beit im Blut liegt

Und war­um wir Absich­ten und kei­ne Buz­zwords brauchen

Ver­fol­gen wir von Natur aus einen gemein­sa­men Plan – oder doch nur unse­ren eige­nen? Vie­les deu­tet dar­auf hin, dass es ein „group mind­set“ gibt. Die­ses Mind­set kann neue Buz­zwords in die Welt set­zen: Mit der Absicht, kei­ne Absicht zu haben. Es kann aber auch hel­fen, den evo­lu­tio­nä­ren Rubi­kon zu über­win­den und damit die Welt zu ver­än­dern. Und dazu braucht es nicht mal ein Wort.

Ich saß am Meer in einem Café. Es war etwa 15 Grad, die Son­ne schien.  Die Tage zuvor war es kalt gewe­sen. Als ein Mann in das Meer stieg, lang­sam, offen­sicht­lich frie­rend, deu­te­ten vie­le Fin­ger auf ihn. Men­schen aus Frank­reich, Groß­bri­tan­ni­en, Deutsch­land ver­stan­den alle das­sel­be „wie kalt, wie mutig!“. Wir stan­den auf und mach­ten Smar­t­­pho­ne-Fotos, als der Mann vor Käl­te ein Stück zurück­wich — und sich dann doch mit dem Kopf ins wil­de Nass stürzte.

Gemein­sa­me Absich­ten. Brau­chen kei­ne Sprache

Wir machen wirk­lich vie­le Wor­te. Dabei genügt manch­mal ein Fin­ger, der auf etwas deu­tet, um gemein­sa­me Absich­ten zu wecken. „Die­sen Stein da, kön­nen wir den nicht gebrau­chen für unser Haus?“ Men­schen kön­nen gemein­sa­me Inten­tio­nen ver­fol­gen. Sie tun das nicht nur für das hier und jetzt. Son­dern für ein Mor­gen, eine geteil­te Zukunft.

Group Mind­set heißt Zukunft

Der Anthro­po­lo­ge Micha­el Toma­sel­lo nennt das Group Min­ded­ness. Er sagt, dass es genau das sei, was den Men­schen von sei­nen Vor­fah­ren unter­schei­den. Spra­che mache also nicht den Unter­schied. Schim­pan­sen hät­ten auch eine Art Sprache.

Doch sie kön­nen kei­ne kom­ple­xen Stra­te­gien in die Tat umset­zen. Das wür­de vor­aus­set­zen, dass sie sich eine gemein­sa­me Zukunft vor­stel­len kön­nen. Sie aber leben im Hier und Jetzt.

Uns berauscht die Zukunft

Die Gegen­wart kann Men­schen nicht so berau­schen wie der Gedan­ke an Mor­gen. Uns aber berauscht die Zukunft, vor allem wenn wir die Gegen­wart verstehen.

Die­se Gedan­ke ver­bin­det mit ande­ren, lässt Neu­es ent­ste­hen. Oft beginnt es eben im Jetzt, in die­sem klei­nen Moment, in dem wir alle wort­los das­sel­be verstehen.

Toma­sel­lo unter­schei­det drei onto­ge­ne­ti­sche Aspek­te und ver­gleicht „LGV“ (letz­ter gemein­sa­mer Vor­fah­re), Früh­mensch und moder­nen Menschen:

  • Kogni­ti­on: Wäh­rend der LGV eine indi­vi­du­el­le Inten­tio­na­li­tät hat­te (“ich esse jetzt die Bee­re”), besa­ßen Früh­men­schen eine gemein­sa­me (“wir pflü­cken Bee­ren für unser Abend­brot”), auf das Du aus­ge­rich­te­te Inten­tio­na­li­tät (“das ernährt dich und mich”). Der LGV konn­te ein­fa­che Schlüs­se zie­hen, der Früh­mensch rekur­si­ve. Moder­ne Men­schen kön­nen zusätz­lich eine Ver­nünf­tig­keit ent­wi­ckeln (“es macht Sinn, Bee­ren welt­weit anzubauen”).
  • Sozia­li­tät: Der LGV hat­te eine Pro­so­zia­li­tät mit Hel­fen und Tei­len. Der Früh­mensch besaß eine zweit­per­so­na­le Moral mit einer gemein­sa­men Ver­pflich­tung und Vor­stel­lung von Fair­ness. Der moder­ne Mensch zeigt eine grup­pen­be­zo­ge­ne Moral mit sozia­len Nor­men und Ver­ant­wort­lich­keit für die­se Gruppe.
  • Die Selbst­re­gu­la­ti­on war beim LGV eine per­sön­li­che und beim Früh­mensch eine sozia­le. Sie sei beim moder­nen Men­schen eine nor­ma­ti­ve. Er regu­liert sein Ver­hal­ten durch Nor­men — ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gi­sche Rei­fe zeigt sich dar­an, dass die­se Nor­men inter­na­li­siert sind.

Neue geteil­te Ideen, aus denen Absich­ten folgen

Nor­men steu­ern uns. Man hat geteil­te Erwar­tun­gen an das Ver­hal­ten, aber eben auch geteil­te Ideen von der Zukunft. Man kann die geteil­ten Erwar­tun­gen durch neue geteil­te Ideen verändern.

Als der eine Mann im Was­ser war, folg­ten weitere.

Men­schen sind in die Lage zu einer sozia­len Co-Kon­­­struk­­ti­on, bei der sie einen Pro­zess aus ver­schie­de­nen Per­spek­ti­ven sehen kön­nen. Dies ist ein wich­ti­ger Grund­satz der Ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gie auch im Erwachsenenalter.

Viel­fach gehyp­te Kon­zep­te wie „radi­cal col­la­bo­ra­ti­on“ beschrei­ben etwas Nor­ma­ti­ves. Sie grei­fen aller­dings zu kurz, da sie nicht berück­sich­ti­gen, dass die kul­tu­rel­le und indi­vi­du­el­le nor­ma­ti­ve Prä­gung unse­rer Vor­fah­ren Ver­hal­ten gleich­wohl steu­ert und sol­che Nor­men unter­lau­fen kön­nen. Gera­de mora­li­sche Nor­men schei­nen tief ver­an­kert — wie etwa die Theo­rie der „Moral foun­da­ti­ons“ von Jona­than Haidt zeigt.

Kul­tu­rell unter­schied­li­che Antworten

Die sehr unter­schied­li­chen poli­ti­schen Ant­wor­ten auf die Coro­­na-Pan­­de­­mie sind letzt­end­lich auch kul­tu­rel­le Ant­wor­ten. Und wel­che Ant­wort der ande­ren über­le­gen ist, zeigt sich erst in einer lang­sa­men, rekur­si­ven Wech­sel­wir­kung, die wie­der­um Nor­men verändert.

In den Mikro­skos­mos­sen der Wir­t­­schafts- und Arbeits­le­ben regu­liert die his­to­risch gewach­se­ne Norm eben­so. Wenn es der Norm ent­spricht, Ego-Zie­­le zu ver­fol­gen, so ist auch das auch co-kon­­­struk­­ti­­ves Ver­hal­ten, selbst wenn es der Co-Kon­­­struk­­ti­on eines tay­lo­ris­ti­schen Nor­men­bil­des dient.

Men­schen schaf­fen auch im Stre­ben nach dem eige­nen Vor­teil  eine gemein­sa­me Zukunft. Doch ver­let­zen sie dabei das eige­ne Mensch­sein, den Früh­men­schen in sich, das prosoziale.

Wir sind alle.

So zeigt sich die indi­vi­du­el­le in der fami­liä­ren, sozia­len und kul­tur­ge­schicht­li­chen Ent­wick­lung – mit Blick auf die Ver­gan­gen­heit und die Zukunft. Wir sind alle. Und stets im Werden.

“Group-Min­­de­d­­ness” als Fähig­keit in einer Grup­pe gemein­sa­me Vor­stel­lun­gen zu ent­wi­ckeln, um damit etwas zu errei­chen und in die Tat umzu­set­zen, zeigt sich in gemein­sa­men Inten­tio­nen. Damit über­win­den Men­schen auch und immer wie­der ihren evo­lu­tio­nä­ren Rubikon.

Ent­wick­lungs­sprün­ge begin­nen bei Krisen

Nun steht Rubi­kon auch für ein ris­kan­tes Aben­teu­er, für ein muti­ges Wag­nis — aber ist es nicht auch das, was wir der­zeit erle­ben? Grö­ße­re Ent­wick­lungs­sprün­ge begin­nen regel­mä­ßig mit einer Kri­se, die vor Augen hält, dass es so wie bis­her nicht wei­ter­geht. Das gilt für die Welt, die Gesell­schaft ins­ge­samt, für Kol­lek­ti­ve, gro­ße und klei­ne Grup­pen wie Teams, aber eben auch für jedes ein­zel­ne Ich im Du. Stellt man sich alles in Krei­sen vor, so hat jeder Kreis immer noch einen grö­ße­ren, der auf ihn rekur­siv wirkt.

Die Erkennt­nis, dass wir künf­ti­ge Her­aus­for­de­run­gen nicht mit Fax-Gerä­­ten und Mikro­ma­nage­ment bewäl­ti­gen, braucht vor­he­ri­ges Schei­tern im Kreis der Zusammenhänge.

Wir brau­chen gemein­sa­me Absichten

“Group Min­dedset” könn­te “radi­kal Kol­la­bo­ra­ti­on” oder ein „agi­les Mind­set“ bedin­gen oder wel­che Idee man auch immer kon­stru­iert. Gemein­sa­me Inten­tio­nen brau­chen gemein­sa­me Ideen, des­halb ist jedes Buz­zword immer zugleich inhalts­leer und absichts­voll. Inhalts­leer, wenn nichts dahin­ter steht, kei­ne gemein­sa­me Inten­ti­on dabei herauskommt.

Inhalts­voll, wenn es eine Idee und eine Absicht gibt, die geteilt wer­den kann. Doch wie för­dert man sol­che Absich­ten – auch und gera­de, wenn Buz­zwör­ter umher­geis­tern, da Men­schen Begrif­fe als inhalts­leer ansehen?

Ganz ein­fach: Buz­zwords erkennt man dar­an, dass alle auf etwas ande­res deu­ten, wenn sie den Begriff in den Mund nehmen.

Zum Abschluss noch ein paar prak­ti­sche Tipps:

1 Len­ken Sie den Blick auf das Verbindende

Ich, Du, Wir? Ganz klar das nor­ma­ti­ve Wir. Das heißt nicht, dass das Ich kei­ne Rol­le mehr spielt — doch die ein­zel­ne Leis­tung zahlt auf das Gemein­sa­me ein. Doch Halt, das darf nicht dazu füh­ren, dass ein Indi­vi­du­um sich selbst ver­liert. Die Grup­pe gibt den Raum, in der das Selbst sich erken­nen kann.

2 Ent­wi­ckeln Sie geteil­te Vorstellungen

Spra­che ver­bin­det und trennt. Damit Men­schen eine gemein­sa­me Absicht ent­wi­ckeln, brau­chen sie ein geteil­tes Ver­ständ­nis. Wir brau­chen nur aufs Meer zu deu­ten, um zu ver­ste­hen. Aber bei ande­ren Begrif­fen ist es schwie­ri­ger. Fra­gen Sie: Was ist die­ses X für dich? Was soll die­ses X für euch wer­den. Und: Wel­che gemein­sa­me Absicht liegt dahinter?

3 Bli­cken Sie hin­ter men­ta­le Modelle

Ins Was­ser sprin­gen oder nicht? Wel­che Absicht ist geeig­net, den Rubi­kon zu über­que­ren? Die Fra­ge des “wie machen wir es?” soll­te immer wie­der mit der Absicht ver­knüpft wer­den — nach dem “wie machen wir es gemein­sam”. Je mehr Spra­che, des­to mehr Wör­ter, des­to mehr Miss­ver­ständ­nis­se. Es braucht zuneh­mend eine Erklär- und Begründungskultur.

4 Las­sen Sie Hel­den zu

Der Mann springt ins kal­te Was­ser und ist der Held des Tages – die fol­gen­den wer­den nicht mehr gese­hen. Obwohl gro­ße Leis­tun­gen nie­mals nur die Leis­tun­gen einer Per­son sind, fällt es uns Men­schen schwer, die Grup­pe ins­ge­samt als Held zu erken­nen. Wir feu­ern den Ein­zel­nen, aber nicht die Men­schen hin­ter ihm oder ihr. Die­se Ver­ein­fa­chung mag unter­kom­plex sein — aber sie ist menschlich.

Sie muss erlaubt sein, um sich dann auf ande­re – gemein­sa­me – Din­ge zu konzentrieren.

  • Buch­tipp:
    • Micha­el Toma­sel­lo: Mensch wer­den. Eine Theo­rie der Onto­ge­ne­se. Mün­chen: Suhrkamp

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