Rangdynamik: Warum Alphas Betas brauchen und Omegas eigentlich nützlich sind
Gruppendynamische Modelle

Alle sind auf Kurs. Nur einer schert aus. Warum sollen wir A machen, wenn B doch so viel sinnvoller ist? Wieso rechts fahren, wenn links auch geht? Weshalb lachen, wenn´s doch zum Weinen ist. Gruppen sind seltsame Gebilde. Sie sind mehr als nur eine Ansammlung von Persönlichkeiten. Statische Persönlichkeitsmodelle und Typologien reichen nicht aus, um die komplexen Prozesse zu erklären. Sie helfen lediglich, Präferenzen von Individuen zu erkennen. Über die Gruppendynamik sagen sie wenig. Anders als die Rangdynamik.
Warum übernimmt in jeder Gruppe über kurz oder lang einer der Führung? Weshalb gibt es so gut wie immer einen kleinen oder großen „Miesmacher“, ja Außenseiter in Gruppen? Aus welchem Grund schließt sich die Masse gern einer Meinung an? Wieso hauen alle immer auf die „Kleinen“? Der österreichische Psychotherapeut und Psychiater Raoul Schindler hat in den 1950er Jahren durch Beobachtung von Therapiegruppen sein Rangdynamik-Modell entwickelt.
Wert: Reflexion über Prozesse in Gruppen
Der praktische Wert dieser Rangdynamik liegt darin, eine aktive Reflexion über Prozesse in Gruppen zu ermöglichen. In der Folge kann die Gruppe — wie auch das Team — einen Reifeprozess durchlaufen. Wer die Chance in dieser Dynamik erkennt, kann destruktive Tendenzen wie das Ausgrenzen von Themen und Personen verstehen und etwa in der Rolle als agiler Coach oder Teamgestalter den anderen bewusst machen.
Das Rangdynamikmodell ist ein Positionsmodell, nach welchem die Positionen in Gruppen durch dynamische Prozesse vergeben werden. Es geht also nicht um Rollen, die jemand einnimmt. Auch die Persönlichkeit des Individuums spielt oft nur eine untergeordnete Rolle.
Aufmerksamkeit: Der Gegner kann ein Ziel sein…
Einer ergreift die Initiative und diese ist immer von Zielgerichtetheit geprägt. Die Aufmerksamkeit der Gruppe wird auf ein Ziel gelenkt, ein G wie Gegner — so ist es im ursprünglichen Modell benannt. Dieser Gegner kann eben auch das Ziel sein, auf das sich die Gruppe einschiesst.
G könnte aber auch das “Goal” sein. In jedem Fall verkörpert es zugleich auch eine Gegenposition, ein “wir für etwas” oder “wir gegen etwas”.
Positionen: Diese 5 gibt es
Nach Schindler gibt es in jeder Gruppe fünf Positionen, die nicht immer alle besetzt sein müssen – je größer die Gruppe, desto wahrscheinlicher ist aber eine Besetzung aller Positionen, wobei es die meisten Gammas gibt:
- Alpha: Der Anführer ist der- oder diejenige, dem die anderen folgen. Kraft Dominanz oder Autorität, in jedem Fall durch Initiative.
- Beta: Der Experte unterstützt den Alpha und hilft ihm in seiner Stellung zu bleiben. Dies kann er aus Gruppenexpertise tun, aber auch aufgrund seines fachlichen Know-how mit dem er der Zielorientierung zuträgt. Diese Position muss laut Schindler nicht besetzt sein. Beta kann auch eine Position zwischen Alpha und Omega einnehmen, in beide Positionen gehen sowie diese auch verbinden.
- Gamma: Das Gruppenmitglied lässt sich vom Alpha leiten. Es steht also, wenn man das bildlich übersetzt mit Blick auf das Alpha, dessen Blickrichtung durch die Orientierung auf G entsteht. Es gibt keine Richtung vor, sondern folgt. Es kann mehrere Gammas geben.
- Omega: Er ist der Gegenspieler, der Alpha werden kann – oder von diesem gezähmt in seiner Position gehalten wird. Manchmal wird Omega auch zum Sündenbock oder auch Bauernopfer, wenn er aus dem Team gedrängt wird. Omega verkörpert auch die Antithese, die das Team verfolgt. Wenn dieses beispielsweise harmonisch zusammenarbeitet, könnte Omega den Streit suchen.
- „G“ ist der Gruppengegner, der eben auch das Ziel der Gruppe sein kann. Dann steht “G” für Goal. Hier muss man Schindlers Modell weiterdenken und in die aktuelle Zeit übersetzen, in der es Teams gibt, die auf eine Zielerreichung orientiert sind. In jedem Fall: G bündelt die Kraft der Gruppe und zieht sie in eine Richtung. G kann also integrieren, aber auch für Differenzierung — etwa der Kompetenzen — sorgen, wenn diese Differenzierung beim Erreichen von G hilfreich ist.
„G“ kann demnach genauso das andere Team sein, das wir mit unseren Leistungen schlagen können wie die Zielerreichung. Beides läuft auf dasselbe hinaus: G führt dazu, dass man sich anstrengt und seine Kräfte bündelt ob dagegen oder dafür.
Alpha: Es bestimmt die Richtung
Alpha treibt nach vorne oder behält in Deckung — je nach Ziel. Alpha braucht Beta als integrierende Rolle, deshalb behandelt Alpha es gut. Beta ist sowas wie der treue Diener. Es könnte selbst die Macht übernehmen, wenn das Wohl der Gruppe oder die Erreichung des Ziels in Gefahr ist. Schauen sie sich aktuelle Schauspiele in der Politik an; Sie werden vieles wiedererkennen. Das Gamma ist der Umsetzer in der Gruppe. Es arbeitet für das Alpha, ohne ihm seine Position streitig machen zu wollen.
Das Omega ist Gegenspieler und tritt auf als Kontrapunkt zur These der Gruppe. Es ist Kritiker, Nörgler, Querdenker, manchmal Querschläger bezogen auf das “G” also das Ziel. Das Omega erkennt früh, was in der Gruppe fehlt oder nicht funktioniert – was das Team nicht immer goutiert. Da es einen eigenen Standpunkt einnimmt und vertritt — also macht-voll ist‑, kann es auch Alpha werden. Kluge Alphas integrieren es und räumen ihm beispielsweise eine Sonderrolle ein.
Metapher Rudel: Gibt es einen Problemwolf?
Schon mal vom Alpha- und Omega-Wolf gehört? Die Begriffe Schindlers trifft man in der Tierwelt wieder. Dort ist der Alphawolf der Leitwolf mit erhobenem Schweif, die Gammas erkennt man am herunterhängenden Schwanz und Omega ist eine Art „Problemwolf“, der ins Rudel integriert sein kann, aber auch manchmal weggebissen wird. Jedenfalls ist er immer ein Außenseiter. G, das Ziel also ist hier das Fressen, aber zugleich auch das andere Wolfsrudel.
Wir Menschen sind keine Wölfe. Wir können verstehen, dass jedes Gewicht ein Gegengewicht braucht – so ist es auch mit dem Alpha und Omega. Und natürlich sind auch die Gammas keine willfährigen Sklaven, sondern intelligent und stark genug, ihren Standpunkt zu vertreten und Alpha wie Omega zu beeinflussen. Zudem sind die Positionen nicht fest und bewegen sich in den unterschiedlichen Phasen eines Teams.
Formale Macht: Führen kann auch etwas anderes
Die Positionen Schindlers können somit unabhängig von der formellen Macht bestehen, die jemand hat – dann hat ein Leiter zwar den Titel, geführt wird die Gruppe aber von jemanden, der die informelle Macht besitzt. Es ist die Person, in deren Richtung alle Blick schweifen, wenn es um Entscheidungen geht oder deren Meinung die anderen folgen.
Positionen zeigen sich auch in selbstorganisierten Teams. Da das Modell aufgrund der Erfahrung mit Therapiegruppen entwickelt wurde, bezieht es sich bereits auf einen Kontext, indem es keine klassisch formale Leitung gibt. Viele Beobachtungen zeigen, dass die Positionen auch in agilen Teams beobachtbar sind. Hier ist vor allem das Zusammenspiel von Scrum Master und Product Owner interessant — eigentlich zwei Alpha-Positionen. Die Bewusstheit über Alpha- und Omega-Positionen könnte da positiv auf das Zusammenspiel wirken: Wenn beispielsweise der Product Owner sich mit dem Ziel “Produktstrategie” verbindet und der Scrum Master mit dem Ziel Teamentwicklung entstehen hier Spannungen, die reflektiert einen Nutzen darstellen können.
Auch eine Diskussion über “G” kann sehr hilfreich sein, verbunden mit der Frage: Auf was fokussiert die Gruppe ihre Aufmerksamkeit? In folgendem Video beschreibt Svenja Hofert ein Beispiel:
Wert: Reflexion über Prozesse in Gruppen
Gleichheit ist ein Mythos. Es ist aber in gut entwickelten selbstorganisierten Teams wahrscheinlicher, dass die Positionen öfter wechseln und sie bewusst reflektiert werden – vor allem, wenn dies von der Führung aktiv unterstützt wird. Einige agile Methoden wie etwa die australische Projektmanagementmethode Dragon Dreaming fördern — ohne dies in irgendeiner Form bewusst zu deklarieren — die Einnahme verschiedener Positionen in einem Gruppenprozess. Sie handeln damit unserer Meinung nach starken Festschreibungen entgegen. Jeder kann mal Alpha – und als Lernender ist Gamma völlig okay! So entsteht eine größere, positive Gruppendynamik.
- Die Themen der Gruppendynamik haben wir in unseren bewährten Ausbildungen wie TeamworksPLUS® integriert.
letzte Aktualisierung 7.1.21
Artikel Teilen:
7 Comments
Leave A Comment
Aktuelle Themen, die bewegen.
Sie wollen uns kennenlernen? Erleben, wie wir ticken, wer wir sind? Dann laden wir Sie herzlich ein, unsere Webinare zu besuchen, die zwei Mal im Monat stattfinden. Sie dauern jeweils 30–60 Minuten und beinhalten einen spannenden Vortrag zu einem aktuellen Thema und anschließende Diskussion. Termine geben wir ausschließlich über unseren Newsletter bekannt. Schon deshalb lohnt sich das Abo! Aber nicht nur – im Newsletter erhalten Sie erstklassige Beiträge und Erstveröffentlichungen, zudem neueste Studien.

Was möchten Sie tun?
Jetzt anmelden!
Start der Ausbildung zum Teamgestalter Gruppe Nr. 15 und der Online-Ausbildung
Jetzt anmelden für den Start Präsenz am 01.06.23 sowie Online am 13.12.2023
Sichern Sie sich jetzt einen Platz für 2023! Werden Sie Teamgestalter*in, schaffen Sie Ihre Basis für agiles Coaching, Team- bzw. Organisationsgestaltung. TeamworksPLUS® Ausbildungsgruppe Nr. 15 startet im Juni 2023, die Online-Ausbildung im Dezember. Wir sind Monate vorher ausgebucht, also sichern Sie sich Ihren Platz jetzt!
Exklusive Events, Vorträge und Webinare
Nur für Newsletter-Abonnenten
Wir bieten unserer Community spezielle Webinare und Vorträge zu aktuellen Themen. Dazu laden wir Alumni und Ausbildungsteilnehmende ein. Unser Newsletter bringt Interessenten Schnupperangebote und Termine frei Haus. Unsere exklusiven Magazin-Berichte, Tipps und Studien haben einen hohen Aktualitätsbezug und bekommen viel Lob.
Missverstehe ich es oder ist hier ein Fehler?
“Alpha braucht Beta, deshalb behandelt Alpha es gut.
Alpha ist sowas wie der treue Diener oder funktional gesehen der Abteilungsleiter. Es könnte selbst die Macht übernehmen…”
Sollte es nicht heißen:
“Alpha braucht Beta, deshalb behandelt Alpha es gut.
*** !!! BETA !!! *** ist sowas wie der treue Diener oder funktional gesehen der Abteilungsleiter. Es könnte selbst die Macht übernehmen…”
ist ein Fehler, ein Dreher im Kopf, der uns überhaupt nicht aufgefallen ist. Wird sofort korrigiert.
Ist immer noch nicht korrigiert. *huch* bin wohl der Nörgler (Omega) 😀
ist 😉 Danke fürs Dranbleiben!
Ist immer noch nicht korrigiert. *huch* bin wohl der Nörgler (Omega) 😀
Lieber Christian, sollte aber. Ich fürchte ich hatte einen Teil korrigiert und einen anderen nicht. Schau doch bitte noch. Du sammelst bei uns einen Bonus, danke dir fürs Drannbleiben. LG Svenja
Lol integriert und Sonderrolle eingeräumt.