Über­tra­gung und Gegen­über­tra­gung in Grup­pen und Teams

Das Phä­no­men — und wie Sie damit umgehen

Men­schen haben Pro­jek­ti­ons­mus­ter. Sie zei­gen sich auch in der Team- und Grup­pen­ar­beit. Team­ge­stal­te­rin­nen soll­ten die Mus­ter von Über­tra­gung und Gegen­über­tra­gung ken­nen. Denn sie beein­flus­sen die Team­dy­na­mik sowohl posi­tiv als auch negativ.

Tom nimmt Eli­za als domi­nant wahr.

Es löst bei ihm beklem­men­de Gefüh­le aus, wenn sie redet. Allein wenn sie in den Raum kommt, geht er in den Wider­stand. Das merkt er gar nicht, es pas­siert ein­fach. Es ist sein Projektionsmuster.

Eli­za reagiert auf Toms gleich­falls mit dem Gefühl der Beklem­mung. Sei­ne Zurück­hal­tung ver­wan­delt sich in ihr in stil­le Aggres­si­on, das sie nach außen in char­man­te Über­le­gen­heit kleidet.

So jeden­falls ist eine pro­duk­ti­ve Zusam­men­ar­beit zwi­schen den bei­den unmöglich.

Ken­nen Sie das? Bei­spie­le für Projektionen:

  • Eine Per­son löst in Ihnen etwas aus, das mit Ihnen eigent­lich nichts zu tun hat. Bei­spiel: Obwohl Sie sonst sehr selbst­be­wusst sind, sind Sie im Zusam­men­spiel mit ihr unsicher.
  • In bestimm­ten Per­so­nen­grup­pen reagie­ren sie unty­pisch für sich selbst. Bei­spiel: Moni­ka ist eine sonst sehr kla­re Frau, die ande­ren Ori­en­tie­rung gibt. Doch in einer Grup­pe mit einer bestimm­ten Art von Män­nern scheint ihr genau die­se Eigen­schaft ver­lo­ren zu gehen.
  • In bestimm­ten Situa­tio­nen füh­len sie eine Art von emo­tio­na­len Fremd­kör­per in sich selbst. Da ist irgend­was, das sie nicht zuord­nen kön­nen. Bei­spiel: Die Unsi­cher­hei­ten laden die Teil­neh­men­den eines Work­shops als Magen­grum­meln in Ihnen ab. Sie füh­len sich schuldig.

Uner­fah­re­ne wür­den das jetzt auf sich bezie­hen. Wer sei­ne Refle­xi­ons­pra­xis schult, sagt sich bes­ser „halt, was ist es – und ist das meins?“

Selbst­wahr­neh­mung als wich­tigs­ter Schritt vor der ver­ba­len Kommunikation

In allen beschrie­be­nen Situa­tio­nen wäre Selbst­wahr­neh­mung hilf­reich, der wich­tigs­te Schritt vor der ver­ba­len Kom­mu­ni­ka­ti­on. Dafür müs­sen Sie sich im Kon­text von Situa­ti­on und Grup­pe sehen kön­nen. Um zum Bei­spiel nach­zu­spü­ren, was zu Ihnen und was zu den ande­ren gehört. Denn nur dann sind Sie in der Lage, sich als Mode­ra­to­rin, Coach, Bera­te­rin oder auch Füh­rungs­kraft von Grup­pen­pro­jek­tio­nen abzu­gren­zen. Denn so wie es per­sön­li­che Pro­jek­tio­nen gibt, so gibt es die­se auch in einer Art kumu­lier­ten Form.

Machen Sie sich das bewusst, so kön­nen Sie reflek­tie­ren, was in der Inter­ak­ti­on pas­siert. Sie kön­nen Mus­ter sehen, um sie durchs Benen­nen vom Unbe­wuss­ten ins Bewusst­sein der Grup­pe zu holen. Und nur, was uns bewusst ist, kön­nen wir auch bewusst verändern.

Spie­geln: Inne­ren Zustand im Kon­text sehen und für ande­re übersetzen

So kön­nen Sie dann etwas „spie­geln“, also ihre Beob­ach­tun­gen im Zusam­men­hang mit ihrem inne­ren Zustand für die ande­ren so über­set­zen, dass sich der ein­zel­ne Mensch oder die Grup­pe dar­in suchen  und viel­leicht wie­der­fin­den kann. Ohne die­se Außen­per­spek­ti­ve, besteht die Gefahr, dass sie mit dem Kon­text ver­schmel­zen, Gren­zen ver­schwim­men und Sie in den Mus­tern der ande­ren auf­ge­hen. Sie fügen sich ins Bild der ande­ren. Aber gera­de Teamgestalter:innen haben ja die Rol­le, den ande­ren einen Spie­gel vorzuhalten.

Das beschrie­be­ne Phä­no­men nennt die Psy­cho­ana­ly­se Pro­jek­ti­on, Über­tra­gung und Gegen­über­tra­gung. Wir pro­ji­zie­ren unse­re inne­ren Bil­der unbe­wusst auf ande­re. Und die­se Ande­ren spie­geln zurück — dabei die eige­nen inne­ren Bil­der nut­zend. So spie­gelt der Spie­gel des einen den Spie­gel des anderen.

Sie ken­nen das viel­leicht aus alten The­ra­pie­ge­schich­ten: Vor Sieg­mund Freud war es üblich, dass sich die Pati­en­tin in den The­ra­peu­ten ver­lieb­te und die­ser zurück in sie. Seit Freud wird das bewusst reflek­tiert und das the­ra­peu­ti­sche „Zurück­lie­ben“ gilt als tabu.

Unter­neh­men set­zen kind­li­che Mus­ter frei

Nicht tabu ist das so genann­te „Nach­beel­tern“, das in einer The­ra­pie statt­fin­den darf. Die nicht erwach­se­nen Antei­le dür­fen nachreifen.

In Unter­neh­men aber tref­fen sie oft unge­stüm auf­ein­an­der. Des­halb hal­te ich all die Bemü­hun­gen, emo­tio­nal und im Team auch pri­va­ter Mensch zu sein für hei­kel. Das geht nur mit reflek­tier­ten Per­sön­lich­kei­ten, die sich selbst dafür ent­schei­den. Bei allen ande­ren setzt die Norm mensch­li­cher Offen­heit umso mehr kind­li­che Mus­ter frei.

Die psy­cho­dy­na­mi­schen Pro­zes­se fin­den in der Fir­ma beson­ders unge­bän­digt statt. In den Unter­neh­men ist Über­tra­gung und Gegen­über­tra­gung still­schwei­gend oft sogar gewünscht. Wenn Unter­neh­mens­be­ra­tun­gen auf das Phä­no­men des „Inse­cu­re Overa­chie­vings“ set­zen, dann wün­schen sie sich im Grun­de Pro­jek­ti­on. Dies in den meis­ten Fäl­len nicht bewusst.

Gefüh­le ent­ste­hen immer in uns. Sie tra­gen unse­re Innen­welt in sich. Und damit auch unse­re Ver­gan­gen­heit. Auch den Teil, den wir beson­ders gern ver­drän­gen. Die Antei­le, die wir an uns nicht mögen oder die wir abge­spal­ten haben.

Des­halb steckt auch in manch nega­ti­vem Feed­back in Wahr­heit eine Projektion.

Über­tra­gung und Gegen­über­tra­gung in Gruppenprozessen

Über­tra­gung und Gegen­über­tra­gung sind zen­tra­le Kon­zep­te aus der Psy­cho­ana­ly­se, die auch in Grup­pen­pro­zes­sen eine gro­ße Rol­le spie­len. Es han­delt sich um psycho- aber auch grup­pen­dy­na­mi­sche Phä­no­me­ne, bei denen wir inne­re Bil­der, unbe­wuss­te Gefüh­le, Erwar­tun­gen und Bezie­hungs­mus­ter aus der Ver­gan­gen­heit auf gegen­wär­ti­ge Bezie­hun­gen und Situa­tio­nen übertragen.

Es han­delt sich auch um eine Art unbe­wuss­tes “Wie­der­erle­ben” von alten emo­tio­na­len Mus­tern und Bin­dun­gen, die in der Gegen­wart auf die Grup­pen­mit­glie­der über­tra­gen werden.

Bei­spiel 1: In einem Team hat ein Grup­pen­mit­glied auf­grund von ambi­va­len­ten Erfah­run­gen in der Ver­gan­gen­heit ein gerin­ges Ver­trau­en in Auto­ri­täts­fi­gu­ren ent­wi­ckelt. Als Fol­ge könn­te es Auto­ri­tät pau­schal ableh­nen, auch bei sich selbst. Dass es selbst auto­ri­tär auf ande­re wirkt, ist ihm nicht bewusst. Die ande­ren wie­der­um spie­geln das nicht, son­dern fol­gen dem Team­mit­glied in sei­ner Auto­ri­täts­ab­leh­nung, wobei dar­in schon ein Wider­spruch liegt. Die­se Gegen­über­tra­gung wird durch die eige­nen Erfah­run­gen, Prä­gun­gen und unbe­wuss­ten Kon­flik­te im Zusam­men­spiel mit Grup­pen­dy­na­mi­ken bein­flusst. In der Refle­xi­on läge nun eine Chan­ce, das Unsicht­ba­re sicht­bar zu machen.

Die Gegen­über­tra­gung bezieht sich auf die Gefüh­le, Gedan­ken und Reak­tio­nen des Grup­pen­lei­ters oder der Grup­pen­mit­glie­der, die als Reak­ti­on auf die Über­tra­gung der Grup­pen­mit­glie­der entstehen.

Bei­spiel 2: Wenn ein Grup­pen­mit­glied in der Grup­pe offen sei­ne Schwie­rig­kei­ten anspricht, könn­te dies beim Grup­pen­lei­ter das Gefühl von Hilf­lo­sig­keit aus­lö­sen, da es ihn an eine ähn­li­che Situa­ti­on aus sei­ner eige­nen Ver­gan­gen­heit erin­nert. Die Hilf­lo­sig­keit wäre in die­sem Fall eine Reak­ti­on auf die Über­tra­gung des Grup­pen­mit­glieds und stellt die Gegen­über­tra­gung dar.

Sich die eige­nen Pro­jek­ti­ons­mus­ter bewusst machen

Die Kon­zep­te von Über­tra­gung und Gegen­über­tra­gung kön­nen in Grup­pen­pro­zes­sen eine wich­ti­ge Rol­le spie­len, da sie die Dyna­mik und das zwi­schen­mensch­li­che Ver­hal­ten beein­flus­sen kön­nen. Für Team­ge­stal­te­rin­nen, die in die Rol­le der Grup­pen­lei­tung gehen, ist es wich­tig, die eige­nen Pro­jek­ti­ons­mus­ter ken­nen­zu­ler­nen, um ange­mes­sen und ein­fühl­sam reagie­ren zu kön­nen. Wenn Über­­­tra­­gungs- und Gegen­über­tra­gungs­pro­zes­se erkannt und ver­stan­den wer­den, kann dies zu einer ver­bes­ser­ten Grup­pen­dy­na­mik und einem tie­fe­ren Ver­ständ­nis der indi­vi­du­el­len emo­tio­na­len Her­aus­for­de­run­gen der Grup­­pen- und Team­mit­glie­der führen.

Von der Pro­jek­ti­on zur affek­ti­ven Polarisierung

Pro­jek­tio­nen sind auch Teil ande­rer Phä­no­me­ne, etwa der affek­ti­ven Pola­ri­sie­rung. Die­ser Begriff kommt aus der Poli­tik­wis­sen­schaft, liegt aber der Psy­cho­lo­gie sehr nahe. Die affek­ti­ve Pola­ri­sie­rung ist durch star­ke emo­tio­na­le Bin­dun­gen an die Über­zeu­gun­gen einer Grup­pe gekennzeichnet.

In einem pola­ri­sier­ten Umfeld iden­ti­fi­zie­ren sich Men­schen stark mit einer Ideo­lo­gie und Über­zeu­gung. Sie wer­ten ande­re mit ande­rer Über­zeu­gung ab, schlie­ßen sie sogar aus ihren Netz­wer­ken aus. Das nimmt bis­wei­len For­men an, die einem fana­ti­schen Glau­ben oft nicht unähn­lich sind. Kri­sen ver­stär­ken die­sen Effekt. Pola­ri­sie­rung beginnt oft im pri­va­ten Bereich, lässt sich aber in einer öffent­li­chen Social-Media-Welt kaum dort hal­ten. Des­halb sind gera­de Füh­rungs­kräf­te gefragt, hier Stel­lung zu beziehen.

Das kön­nen Sie deut­lich bewuss­ter, wenn sie das Phä­no­men von Über­tra­gung und Gegen­über­tra­gung  bei sich selbst reflek­tie­ren können.

Die fol­gen­den 7 Tipps hel­fen beim pro­fes­sio­nel­len Umgang mit Über­tra­gung und Gegen­über­tra­gung in Gruppen:

  1. Ler­nen Sie sich selbst jeden Tag ein biss­chen bes­ser ken­nen. Wor­auf reagie­ren Sie, wor­auf nicht?
  2. Wer­den Sie sich bewusst, dass Ihre eige­nen Gefüh­le nichts ande­res sind als Ihre eige­nen Gefüh­le. Sie sind durch inne­re Bil­der bestimmt, die die Ver­gan­gen­heit gemalt hat.
  3. Schu­len Sie Ihren Kon­­­text- und Situa­ti­ons­blick: Was fin­det gera­de nur hier statt? Was ist das Ver­hal­ten, das jeder bob­ach­ten könnte?
  4. Ler­nen Sie die Inter­pre­ta­ti­on von dem zu tren­nen, was für alle gemein­sam “da” ist, etwa das Mee­ting Mon­tags um 9.
  5. Bob­ach­ten Sie genau, was ande­re in Ihnen aus­lö­sen. Und fra­gen Sie sich, was davon nur mit Ihnen zu tun hat.
  6. Ver­ste­hen Sie die Mus­ter, die allein dadurch ent­ste­hen, dass sie sich wie­der­ho­len. Was genau macht sie aus?
  7. Wer­den Sie auf­merk­sam, wenn Sie selbst etwas sehr stark und emo­tio­nal bewer­ten. Suchen Sie danach, was es über Sie aus­sagt, bevor Sie den ande­ren ansehen.

The­ma vertiefen?

  • Ceci­le Loetz / Jokob Mül­ler: Pod­cast “Rät­sel des Unbe­kann­ten”, Fol­ge 2, über­all wo es Pod­casts gibt
  • Sven­ja Hofert: Die irre Kraft ratio­na­ler Über­zeu­gun­gen, Fol­ge 41, bei Sub­stack

Foto von Valera Eva­ne: https://www.pexels.com/de-de/foto/himmel-menschen-frau-wolken-9794893/

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