Von der Pflicht, Verantwortung zu übernehmen und der Schwierigkeit des Musterbruchs: The responsibility processs

Warum tun Sie das, was Sie tun? Übernehmen Sie Verantwortung oder suchen Sie nach Zuständigkeiten? Der Resonsibility Process nach Christopher Avery bietet eine Anleitung zur Selbstentwicklung.
Es gibt ein schönes Gedankentanken-Video von Bodo Schäfer. Darin spielt er mit zwei Plüschtieren, einer Ente und einem Adler. Der Adler sucht Chancen und Lösungen, die Ente quakt — und ist für nichts zuständig. Das kennen wir alle. Doch lustig ist es nur, so lange man sich die krassen Beispiele vor Augen führt. Wer bezieht das Entengequale schon auf sich selbst? Die Enten, das sind immer die anderen. Ich war gestern beispielsweise in drei Vodafoneshops auf der Suche nach einem guten neuen Vertrag inklusive Iphone X. Erst im dritten hatte ich es mit einer Adlerin zu tun. Die anderen zwei Shops beschäftigten entsetzlich lahme Enten. Kunde? Stört mich beim Surfen. Verantwortung für das, was ich tue? Haben andere.
Die Enten sind immer die anderen
Der Responsibility Process von Christopher Avery zeigt die (Um-)Wege zur Verantwortung eindrücklich und plakativ. Am Anfang steht oft „Verleungen“ (denial): Wir wollen mit etwas nichts zu tun haben. Es sind „die da oben“, die zuständig sind und etwas ausgeheckt haben. Betrifft mich nicht! Verleugnen können wir auf ganz verschiedene Art und Weise, meist erkennt vor aller der Kunde das am „Entenverhalten“. Keine Zeit, gibt Wichtigeres, sollen die doch machen, Chef gibt eben keine Prios, Kunde ist = Chef usw.
Danach folgt „beschuldigen“ (lay blame), die Verantwortung wird also irgendjemand zugeschoben, der zuständig ist. „Ist ja nicht mein Unternehmen“, mag so jemand denken oder auch sagen. Es kann in Form von „dafür bekomme ich kein Geld“ oder „Du bist ja die Chefin“ daherkommen. Vielleicht wird auch gar nicht darüber und über Lösungen im Sinne des Kunden nachgedacht, sondern nur an sich selbst.
Scham und Rechtfertigung sind zwei Seiten einer Medaille
Besonders beliebt ist auch „rechtfertigen“ (justify): „Ich kann ja nichts dafür, denn andere haben das verbockt.“ Beispiel „Command and Control“: Sehr gerne werden die Führungskräfte für dieses “unzeitgemäße” Verhalten verantwortlich gemacht. Sie sind es, die einfach nicht loslassen können. Aber ist es so? Ist es nicht auch der Mitarbeiter, der das Vakuum nicht füllen kann und will — was zeitweise auf das gleiche hinausläuft? Im Modell der Transaktionsanalyse nach Eric Berne ist typischerweise die Führungskraft im wahlweise fürsorglichen oder kritischen Eltern-Ich, während der Mitarbeiter freies oder rebellisches/angepasstes Kind ist (rebellisch/angepasst sind strukturell identisch, denn das Muster ist, sich auf Verhalten aus dem Eltern-Ich zu beziehen). Es ist durchaus nicht Ziel, dass alle immer aus dem vernünftigen Erwachsenen-Ich handeln, aber Verantwortungsübernahme fordert ein flexibleres Switchen zwischen den Zuständen. Das verlangt eben auch persönliche Reife. Und ein Umfeld, das diese fördert.
Ich war das nicht oder Peter war´s = die Weigerung, erwachsen zu handeln
Es ist jedenfalls leicht zu lästern über Führungskräfte — vor der eigenen Haustür kehren, ist dagegen weniger beliebt. Wenn Mitarbeiter beginnen sich zu „schämen“ ahnen sie bereits, dass sie eigentlich hätten sollen, müssen (Kind-Ich). Dass sie es auch KÖNNEN glauben sie oft weniger, eingestehen wollen/können sie das aber nicht: Die Strategien lauten Verdecken, Verharmlosen und Abschotten, vielleicht still vor sich hin (selbst-)zweifeln, das aber keinem nutzt (einem selbst auch nicht).
Scham und Rechtfertigung liegen sehr dicht beieinander, wenn sie nicht sogar zwei Seiten derselben Medaille sind, denn das eine ist eine Emotion und das andere eine Reaktion darauf. Das angepasste Kind sagt “Eiei, tut mir leid” und das rebellische “war ich nicht” oder “Peter war´s”. Strukturell ist es das gleiche: Man geht nicht in die Verantwortung.
Ich konnte nicht herausfinden, was Averys Herkunft ist, denn es gibt noch keinen Wikipedia-Eintrag. Offenbar ist er jedenfalls kein Psychologe, auf was sich sein PhD bezieht ist unklar. So stellt er sich die Entwicklung zu einem verantwortlichen Menschen ein wenig einfach und per Vernunft steuerbar vor, was sie praktisch nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich ist.
Adler ist die Metapher für eine freie und erwachsene Persönlichkeit
Ich will noch mal das Bild von den Enten zitieren: Wenn um mich herum lauter Enten sind, dann werde ich sehr selbstbewusst sein müssen, um als Adler zu agieren. Wahrscheinlich bin ich dann Chef, Unternehmer oder in eine andere Firma abgewandert. Denn „Adler“ ist die Metapher für eine abgegrenzte Persönlichkeit, die mit sich und seinen verschiedenen Persönlichkeitsanteilen (ego states) in Einklang steht und sich voll auf seine Umgebung konzentrieren kann. Und, machen wir uns nicht vor, wir haben in den Firmen eine große Anzahl von Mitarbeitern, die keine solchen gesunden Grenzen ziehen können. Ganz ehrlich: Sonst wären sie oft gar nicht da, wo sie sind. Es steht eben alles mit allem in einer Wechselwirkung.
Der Adler kann nicht fliegen
Nach der Scham kommt bei Avery „Verpflichtung“ (obligation). Hier tun Führungskräfte oder auch Mitarbeiter das, was sie tun sollen, aber nicht, was sie tun wollen. Es ist ihnen etwas auferlegt, was Pflicht ist – jedoch nicht im Sinne von Kants kategorischem Imperativ, sondern eine von außen auferlegte Pflicht des „man tut es eben“.
In so einer Haltung ist der Adler angekettet. Er fliegt soweit, wie er denn fliegen kann, aber er ist nicht frei. So kann er auch keine Business Chancen auftun oder kreativ auf neue Ideen kommen und andere im Vorbeifliegen anstecken. Selbst wenn die Kette wegfällt, bleibt er flügellahm.
Muster bleiben auch dann bestehen, wenn sie gebrochen werden sollen
Das erleben wir in vielen Unternehmen. Ich bin oft erschüttert, wie unterschiedlich die Einschätzung von Top-Management und Mitarbeitern ist. Da haben die Manager in ihrer Selbsteinschätzung durchaus freigelassen, fordern offen zum Musterbruch auf – doch die Angestellten bleiben bei den alten Mustern. Da werden agile Konzepte im angeketteten Adler-Modus erstellt: „Wir müssen das machen, denn der Vorstand will es“. Niemand traut sich „to speak up“ – obwohl es erwünscht ist. Die Angst ist zu groß. Irgendjemand kennt immer jemanden, der degradiert wurde, weil er genau das dann getan hat. Selbst wenn es 1975 gewesen ist; das Bild hängt immer noch da wie ein Ahnengemälde.
Aber ehrlich, ziemlich oft ist es einfach Schiss – vor der Verantwortung. Denn eines ist auch wahr: In der letzten Stufe, der Verantwortungsübernahme für sich selbst und andere (responsibility) lässt sich nichts mehr abschieben. Da muss ich entscheiden und für meine Entscheidungen einstehen. Da kann ich niemand die Schuld geben und mich auch nicht hinter dem Rücken von anderen verstecken oder an Mamas Rockzipfel festhalten.
Christopher Avery beschreibt, ohne es zu wissen, den Prozess einer Ich-Entwicklung. Er setzt als Lösungsvorschlag, typisch amerikanisch, auf mentales Training und Lösungsorientierung. Das ist enorm wichtig und funktioniert sehr gut. Wenn, ja wenn Sie es mit Menschen zu tun haben, die in ihrer Ich-Entwicklung mindestens auf einer Stufe E6 nach Loevinger stehen, was ich Effektiv-Modus nenne. Das ist eine gesunde Persönlichkeit, die ihre verschiedenen Ego States gut integriert hat und eigene Wertmaßstäbe internalisiert. Aber das ist eben die Minderzahl, denn bisher war so eine Persönlichkeit gar nicht gewünscht- darüber schreibe ich in “Agiles Mindset”, während ich in “Mindshift” Lösungen gebe, die auch über das mentale Training hinausgehen (Amazon).
Mentales Tranig und Lösungsorientierung sind wichtig, aber noch wichtiger ist die Kontextprägung
Ganz so einfach ist das Integrieren eben nicht. Was die amerikanischen Buchautoren oft weniger erkennen oder einbeziehen oder beides, ist die Bedeutung des Kontextes. Sie setzen immer auf die Individualkraft, beispielsweise auch in dem derzeit beliebten „Radical collaboration“-Konzept, das bei Licht betrachtet auch ein mentales Verhaltenstraining ist. Hier geht man einfach mental auf die “grüne Wiese” der Kooperation anstatt auf der “roten” für sich zu kämpfen. Das Denk- bzw. Lösungsmuster hinter beiden Konzepten ist ähnlich.
Ja, es kann in Einzelfällen eine Person sein, die alles dreht, jedoch muss dies eine kluge und starke Persönlichkeit sein. Der Normalfall, allein schon der statistische, ist, das Menschen sich nicht aus eigener Kraft im gleichbleibenden Umfeld wandeln können, da Veränderung so einfach nicht funktioniert. Dazu habe ich kürzlich einen Artikel über “Psychologie der Veränderung” in meinem persönlichen Blog veröffentlicht. Und wenn Sie das Thema tiefer interessiert: Wir haben dazu bei Teamworks ein Seminar, das den praktischen Bezug zu Ihrer Arbeit herstellt.
Meine Adlerin im Vodaphone-Shop hatte Adler-Kollegen. Ich sah das an der Art des Umgangs miteinander. Die zuvor erlebten Enten waren entweder allein im Shop oder auch die Kollegen schauten desengagiert.
Der beste Entwicklungsbooster ist ein neues Umfeld. Avery liefert ein prima Modell, um damit in Workshops zu arbeiten, jedoch greift es an dieser entscheidenden Stelle dann doch zu kurz.
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“Ich konnte nicht herausfinden, was Averys Herkunft ist, denn es gibt noch keinen Wikipedia-Eintrag. Offenbar ist er jedenfalls kein Psychologe, auf was sich sein PhD bezieht ist unklar.”
“Ph.D. in organization science from the University of Texas at Austin.”
https://christopheravery.com/bio