Von negativen Effekten der Teamarbeit zur positiven Psychologie
Geschichte der Teamarbeit Teil 4 (neuere Zeit)

Wie und warum hat sich das Verständnis von Teamarbeit in den letzten Jahren verändert? Das soll Thema unseres aktuellen Beitrags über die „Geschichte der Teamarbeit“ sein. Wir widmen uns etwa der Zeit von 1960 bis heute.Unsere Arbeitswelt wandelt sich seit einigen Jahren immer schneller. Agile Prinzipien (mehr darüber) ziehen in die Unternehmen ein. Und mit ihr verändert sich die Gruppenarbeit. Selbstorganisation ist so ein agiles Prinzip. Nicht mehr der Vorgesetzte verteilt Aufgaben, die Mitarbeiter ziehen sich ihre Tickets selbst. Agile Coachs, im Scrum so genannte Scrum Master sorgen für den kommunikativen Fluss. Laterale Führung nennt man das im Fachdeutsch, von lateinisch „latus“ seitlich, ohne hierarchische Weisungsbefugnis.
Vor allem im IT-Bereich, speziell der Softwareentwicklung, sind agile Prinzipien verbreitet. Inzwischen haben sich Prozess- und Projektmanagementmethoden wie Scrum und Kanban jedoch auch in der Produktion verdient gemacht. Fördert diese die Art der Zusammenarbeit nachweislich auch Wissensaustausch und Leistung. So berichten „agile“ Teamarbeiter oft von höherer Selbstbestimmung und Zufriedenheit. Agile Teamarbeit steht somit an der Spitze einer Entwicklung in der Geschichte der Zusammenarbeit. Als 9Levels-zertifizierte Trainer und Berater würden wir diese Spitze im „gelben“ Wertesystem verankert sehen, das man wiederum auch als systemisch bezeichnen könnte – wenn nicht so viele dieses Wort so falsch und dogmatisch auslegen würden (es nämlich „blau“ interpretierten…).
Bis es soweit kommen konnte, musste jedoch einiges geschehen und eine Entwicklung in Gang kommen. Verschiedene Fäden mussten sich aus unterschiedlichen Perspektiven lösen und zu einem neuen Bild verknüpft werden können.
Lassen Sie uns einmal diese verschiedenen Fäden und ihre Herkunft betrachten.
Betriebswirtschaft: Balanced Scorecard und Effizienz
Aus der Betriebswirtschaft löst sich der Faden „Effizienz“. Hier ist das Team nichts anderes als eine Arbeitsgruppe, deren Zweck es ist, wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Seit etwa 15 Jahren spielt sich hier verstärkt die Wirtschaftsethik hinein und spinnt einen doppelt gewobenen Faden…
Effizienz bleibt dennoch im Vordergrund der betriebswirtschaftlichen Betrachtung. Messbarkeit wurde seit etwa 1990 immer wichtiger. Ein Beispiel dafür ist die Balance Scorecard, ein Steuerungssystem, das alles in Zahlen abzubilden sucht…. Sie zog auch ins Personalmanagement und breitete sich von hier aus aus in Richtung Messung von Teamperformance.
Effizienz ist und bleibt die zentrale Messgröße der BWL. Allerdings wurden immer wieder Versuche unternommen, diese „human“ zu untermauern. Wenn doch Arbeitszufriedenheit die Teamleistung förderte? Hier kommen die autonomen Arbeitsgruppen in die 1990er Jahren ins Spiel, die auch das Thema Selbstorganisation in die Industriebetriebe trugen. Ob diese jedoch wirklich leistungsfördernd sind, darüber gibt und gab es jedoch widersprüchliche Aussagen. Nach wie vor ist auch nicht ganz klar, ob Leistung und Arbeitszufriedenheit negativ oder positiv zusammenhängen – oder auch gar nicht. Solche Fragen untersucht die Arbeitspsychologie, die einen humanen Ansatz in die Gruppenarbeit zu tragen sucht.
Was unterscheidet eigentlich Arbeitsgruppen und Teams? Lässt sich hier ein Schlüssel finden? Offensichtlich nicht. Das Verständnis, dass Teams wirklich zusammenarbeiten, während in Gruppen jeder Einzelinteressen folgt, ist eine vom Sport inspirierte Laieninterpretation. Wir haben keinen wissenschaftlichen Beleg dafür gefunden. In der Sozialpsychologie beispielsweise wird Team und Gruppe absolut gleichwertig gesehen. Es scheint eine Praktikergewohnheit zu sein, hier zu unterscheiden. Das macht diese Unterscheidung nicht schlecht. Und indirekt ist sie auch wissenschaftlich abgebildet: So heißt ein bekanntes Messinstrument zur Güte eines Teams „Teamklima-Inventar“ – nicht etwa Gruppenklima-Inventar.
Prägt die Persönlichkeit oder die Situation?
Eine weitere Frage, die bei der Frage nach der Bedeutung von Teamarbeit in den letzten Jahren immer wichtiger wurde, ist die, welche Rolle das Individuum und welche die Gruppe in ihrer Umgebung spielt. Klar ist, dass alles miteinander agiert, aber wie stark sind die einzelnen Einflüsse? Sucht sich der Mensch, die Gruppe, in der er seine angelegten Eigenschaften entfalten kann oder prägt die Gruppe den Menschen? Wahrscheinlich ist beides der Fall, man spricht von einer dynamischen Interaktion, aber je nach Betrachtungsweise wird dem einen oder anderen mehr Bedeutung zugesprochen. Die Annahme einer dynamischen Interaktion von Ich und Wir ist auch für unsere Ausbildung TeamworksPLUS eine Arbeitsgrundlage.
In der Persönlichkeitspsychologie steht der Mensch, in der Sozialpsychologie die Gruppe im Mittelpunkt der Betrachtung. Sozialpsychologen sind oft Situationalisten, also eher überzeugt, dass das Umfeld prägt. Schaut man sich die Erkenntnisse in diesem Feld an, so gibt es gute Gründe, das anzunehmen. Nehmen Sie etwa die Milgram-Experimente, die 2010 in Frankreich wiederholt wurden. Sie legen nahe, dass fast jeder Mensch unter bestimmten Bedingungen Befehle ausübt und „gehorcht“ — Widerspruch scheint weniger zur menschlichen Natur zu gehören, denn nur etwa 10 Prozent der Versuchsteilnehmer widersetzten sich Befehlen. Die Milton-Studien läuteten ein kritisches Zeitalter ein. Jahrzehntelang stand der Mensch mit seinen dunklen Seiten im Mittelpunkt des Interesses. Eine der zentralen Figuren hier wie der als „Dr. Evil“ bekannte Psychologe Philip Zimbardo.
Schädliche Effekte der Teamarbeit
Sozialpsychologen haben vor allem in jüngerer Zeit viele schädliche Gruppeneffekte aufgedeckt, etwa das soziale Faulenzen und das Gruppendenken. Eine besondere Bedeutung in der Geschichte der Teamarbeit kam Janis 1972 zu, der die US-amerikanische Außenpolitik analysierte. Ein Meilenstein in der Entzauberung der Teamarbeit kam der Studie „The romance of teams“ aus dem Jahr 2004 zu. Dazwischen lagen die genialen Studien von Daniel Kahnemann und Amos Tversky, die auf Wirtschaft und Psychologie ausstrahlten. Kahnemann und Tversky entdeckten Biasse und Heuristiken, die Wahrnehmungen und Entscheidungen beeinflussen und einschränken.
So kann man die 1960er bis 2000er als eine Zeit beschreiben, in der die Betriebswirtschaft sich auf Zahlen (zunehmend seit den 1990er Jahren) und die Psychologie zunehmend auf Defizite fokussierte, bei der Betrachtung des Menschens ebenso wie beim Blick auf Teamarbeit. Ganz sicher erklärt sich vieles daraus durch den Blick auf die Nazizeit und aus der Verarbeitung dieser Epoche.
Das ändert sich seit der Jahrtausendwende wieder. Die positive Psychologie bekommt zunehmend Bedeutung. Weiterhin setzen sich integrierte Ansätze durch, die davon ausgehen: Es gibt nicht das eine oder andere; es gibt alles und die wahre Herausforderung unserer Zeit ist die Ambiguitätstoleranz, also die Akzeptanz von Unsicherheit, Ungewissheit und Doppeldeutigkeit. Wer mit Gruppen arbeitet tut gut daran, genau das in den Mittelpunkt seiner und ihrer Arbeit zu stellen anstatt eine Wahrheit oder ein System oder ein „systemisch“ zu verkaufen. Deshalb auch das Bild mit den Giraffen. Lasst uns von oben draufschauen ohne Arroganz, aber mit Blick für Vielfalt.
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