Was heißt eigent­lich systemisch?

Eine ganz und gar untheo­re­ti­sche Ein­füh­rung in sys­te­mi­sches Denken

Wir spre­chen oft von „sys­te­mi­schen Aus­bil­dun­gen“, sys­te­mi­schen Coa­ching oder Sys­tem­den­ken. Aber was bedeu­tet das eigent­lich kon­kret? Wenn man den theo­re­ti­schen Über­bau ein­mal so weit wie mög­lich raus­lässt. Der Ver­such einer pra­xis­na­hen Erklärung.

Als Picas­so noch nicht all­zu bekannt war, mal­te er im Auf­trag eines rei­chen Man­nes des­sen Frau. Nach der Bild­über­ga­be kam die­ser zu ihm und beklag­te sich. Das sei ja gar nicht sei­ne Frau, mein­te er. Sie sähe ganz anders aus – so wie auf die­sem Foto da. Er hielt ein Foto hin. Picas­so lächel­te und sag­te „Alles, was ich sehe ist ein fla­ches Rechteck“.

Die klei­ne Epi­so­de, wahr oder nicht, sagt alles, was in der sys­­te­­misch-kon­­­struk­­ti­­vis­­ti­­schen Hal­tung steckt: Wir machen uns ein Bild von der Wirk­lich­keit — sie ist nicht da. Die Bil­der der Men­schen sind höchst unter­schied­lich. Des­halb soll­ten wir gar nicht erst ver­su­chen, ande­ren unse­re Wahr­heit auf­zu­drän­gen. Oder von uns aus­zu­ge­hen. Oder von irgend­et­was, was all­ge­mein „Sinn“ macht.

Den Blick wei­ten, mehr Per­spek­ti­ven bekommen

Was wür­de den Mann wohl dazu gebracht haben, das Bild dann doch schön zu fin­den? Viel­leicht die Tat­sa­che, dass ein ande­rer für Picas­sos Gemäl­de Tau­sen­de zahlt. Viel­leicht aber auch eine simp­le Fra­ge: Und was, wenn Sie Ihre Frau mit mei­nen Augen sähen?

Der Spruch „die Land­kar­te ist nicht das Land“ wird dem Phi­lo­so­phen Alfred Kor­zybsk zuge­schrie­ben. Denn jeder sieht etwas ande­res, der das Land beob­ach­tet: Der eine die Stra­ße, der ande­ren den Fluss. Und dann sind da noch die Inter­pre­ta­ti­on und kogni­ti­ve Verzerrungen.

Ich erin­ne­re mich an einen Kun­den, der sei­nen Mit­ar­bei­tern vor Jah­ren mein Buch „Das agi­le Mind­set“ zum Lesen gege­ben hat, damit sie sich ein eige­nes Bild mach­ten. Sie soll­ten fünf Kern­sät­ze zusam­men­fas­sen. Ich gebe zu, ich fand das etwas schräg. Aber and­rer­seits… ein Experiment.

Die Zusam­men­fas­sun­gen waren so unter­schied­lich, dass der Auf­trag­ge­ber es kaum fas­sen konn­te. Ich erle­be nun schon 25 Jah­re, das Men­schen Din­ge in mei­nen Tex­ten sehen, die ich aus mei­ner Per­spek­ti­ve nie geschrie­ben habe… Wir kön­nen uns immer nur annä­hern und des­halb ist Feed­back auch „sys­te­misch“ so wichtig.

Sys­tem­den­ken

Sys­te­misch den­ken heißt auch „in Sys­te­men“ den­ken. Das ist etwas ande­res als Sys­tem­den­ken. Dabei ver­sucht man ein Sys­tem in ein Modell zu fas­sen. Und das ist schon mal eine Mam­mut­auf­ga­be, vor allem wenn es noch gar kein aus­rei­chen­des Modell­wis­sen gibt. Es geht dabei immer um das Gan­ze und sei­ne Tei­le und die inne­ren Zusam­men­hän­ge. Die Tei­le sind dabei im übri­gen auch wie­der Sys­te­me. Also das Team ist als Teil der Orga­ni­sa­ti­on ein eige­nes Sys­tem, oder auch Subsystem.

Jetzt ist es wich­tig zu begrei­fen, was Sys­te­me sind. Für uns sind vor allem sozia­le Sys­te­me wie die Fami­lie und die Orga­ni­sa­ti­on rele­vant. Sozia­le Sys­te­me sind immer offe­ne Sys­te­me, das heißt sie kön­nen etwas rein­las­sen (wenn sie wol­len und ein Bewusst­sein hät­ten). Sie haben Umwel­ten. Umwelt ist dabei das, was das Sys­tem als Umwelt erkennt. Das ist für die Pra­xis ein beson­ders span­nen­der Gedan­ke, denn man­che Umwelt wird viel­leicht gar nicht als sol­che gese­hen. Könn­te es auch eine gegen­wär­ti­ge und eine künf­ti­ge Umwelt geben?

Sozia­le Sys­te­me fol­gen einer Logik für den eige­nen Selbst­er­halt, Luh­mann nann­te das den binä­ren Code. Der ist bei Unter­neh­men ganz anders als bei Behör­den. Bei den einen geht es um Zah­lung, bei den ande­ren um den Ver­wal­tungs­akt, die Ver­ord­nung. Ver­än­de­rung ist dann mög­lich, wenn das Sys­tem sich erhal­ten kann. Fra­gen Sie mal, war­um sich fast nie­mand frei­wil­lig abschafft. Oder wes­halb es sowas wie den Die­sel­skan­dal geben konn­te. Da blieb die Umwelt (etwas das Sys­tem Poli­tik) aber völ­lig außen vor…

Fami­li­en als Systeme

Fami­li­en sind dann noch mal ganz beson­de­re sozia­le Sys­te­me. Deren Logik ver­steht oft nur, wer selbst Mit­glied ist. Und manch­mal erschließt sie sich erst nach lan­ger Beschäf­ti­gung mit den The­men der eige­nen Her­kunfts­fa­mi­lie und ihrer Umwel­ten. Das Sys­tem kop­pelt sich struk­tu­rell, dabei ent­schei­det es selbst mit wem. „Spiel nicht mit den Schmud­del­kin­dern, sing nicht ihre Lie­der“ – die Fami­li­en­lo­gik pflanzt sich oft über Gene­ra­tio­nen fort. Das ist bei Orga­ni­sa­tio­nen ganz ähn­lich, des­halb fin­den sich gera­de in Fami­li­en­un­ter­neh­men oft The­men aus der Grün­der­fa­mi­lie auch im Geschäfts­be­trieb wieder.

Den Mensch gibt es so bei Luh­mann zumin­dest nicht. Dafür exis­tiert das Sys­tem „Psy­che“ mit dem Code bewusst/unbewusst. Das Sys­tem Psy­che hat natür­lich auch eine Umwelt (wenn man sie denn bemerkt), den Kör­per. So wie auch umgekehrt.

Kon­flik­te als System

Auch Kon­flik­te sind Sys­te­me, Kon­flikt­sys­te­me. Das erleich­tert ihre Bear­bei­tung erheb­lich, denn dadurch lässt sich der Kon­flikt exter­na­li­sie­ren. Stel­len Sie sich ein­fach vor, es wäre der Hocker da vor Ihnen…Was hält die­sen Kon­flikt da?

Der Begriff Auto­poie­sie bezeich­net den Pro­zess der Selbst­er­hal­tung eines Sys­tems, bei­spiels­wei­se eben das Kon­flikts. Ja, den­ken Sie ruhig an die Ukrai­ne… oder auch an etwas Per­sön­li­ches.  Der Geist kommt irgend­wann nicht mehr aus der Fla­sche. Oder auch: Da ist etwas ent­stan­den, was qua­si ein Eigen­le­ben hat. Es lässt sich, ver­flucht, kaum noch abschaffen…

Kon­flik­te löst man dann nur, indem man krea­ti­ve Wege fin­det und eine ande­re Per­spek­ti­ve dar­auf einnimmt.

Zwei­wer­ti­ge Logik

Hier wie gene­rell hilft die zwei­wer­ti­ge Logik. Das ist das Den­ken in Polen. Wir gehen dabei davon aus, dass alles zwei Sei­ten hat, wie die Mün­ze Kopf und Zahl. Die­se Pole zie­hen sich hin­sicht­lich eines The­ma auf, bei­spiels­wei­se „agil“ oder „rigi­de“ bezo­gen etwa auf Steue­rung. Die Pole ent­spre­chen zwei Wahr­heits­wer­ten, von denen der eine in einem bestimm­ten Zusam­men­hang (und nicht etwa gene­rell) rich­tig und der ande­re falsch ist.

Aber nicht all­ge­mein, son­dern hin­sicht­lich des jewei­li­gen Systems.

Indem wir betrach­ten, wel­cher Wert gilt und wel­cher nicht, kön­nen wir uns blin­de Fle­cken bei uns und ande­ren erschlie­ßen. Indem wir hin­ter­fra­gen, wel­cher Wert – unab­hän­gig von sei­ner Gül­tig­keit – funk­tio­nal wäre, kön­nen wir Per­spek­ti­ven erweitern.

Denn am Ende hat auch alles Sys­te­misch eine Psycho-Logik: Je wei­ter der Blick und des­to mehr bis­her unbe­ach­te­te Per­spek­ti­ven ins eige­ne Blick­feld erwei­tert, des­to mehr Lösun­gen erge­ben sich.

 

Mehr über die prak­ti­sche Anwen­dung erfah­ren Sie z.B. in unse­rem Tetralemma-Kurs.

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