Was Systemische von „normaler“ Teamentwicklung unterscheidet
Über einen kleinen, feinen Unterschied und seine Bedeutung für Praktiker

Seid ihr systemisch unterwegs, werden wir öfter gefragt. Klar doch! Wer würde es im deutschsprachigen Raum auch wagen, etwas anderes zu sagen. „Systemisch“ ist zum Etikett geworden, zu einer Art „Made in Germany“. Auch, wenn es eine wahrlich diverse Herkunft hat. In diesem Beitrag wollen wir euch die Unterschiede zeigen und einen direkten Bezug zur Praxis herstellen.
„Frau Hofert bieten Sie systemisches Coaching?“ fragte mich vor Jahren ein Bereichsleiter. „Was genau meinen Sie?“ fragte ich zurück. Er wolle „was mit Fragen“. Er hatte aber kein Interesse, sich die Lösung für seine Herausforderung in Führung systemisch zu erschließen. So wie ich es verstanden hätte. Er wollte von mir nur erfahren, was seine Stärken seien und ob er in einem beliebten Persönlichkeitstest eher blau oder gelb sei.
Was macht denn den Unterschied, wenn das Wort so missverständlich ist?
Auch Teamcoaching- und Teamentwicklungsausbildungen werben häufig damit, „systemisch“ zu sein. Gleichwohl wissen selbst Ausbildungsteilnehmende auch nach Abschluss einer solchen Ausbildung oft nicht, was an ihrer Ausbildung systemisch war. Ich frage häufig danach und unter systemisch werden mir Ansätze wie Transaktionsanalyse oder auch das „Innere Team“ genannt. Beides würde ich nicht darunter subsummieren.
Die gute Frage ist also, wo überhaupt ein Unterschied zu „normaler“ Teamentwicklung liegt. Die Unklarheit ist den Leuten nicht ihnen anzulasten. Sie liegt darin begründet, dass systemisch ein Sammelbecken für alles und nichts geworden ist. Also lassen Sie uns hier zumindest den Versuch einer Abgrenzung unternehmen.
Systemik und Systemtheorie: Paare oder Gegensätze?
Erst einmal gilt es Systemik und Systemtheorie zu unterscheiden. Das eine leitet eigentlich in das Adjektiv „systemisch“, das andere in „systemtheoretisch“ – aber diese Unterschiede werden selten gemacht.
Unternimmt man eine Unterscheidung, so liegen beide weit auseinander. Gemeinsamkeit ist das Denken und Ganzheiten und an systemischen Selbsterhalt. Die Systemik ist aber psychologienäher. Sie hat auch ein Anliegen: Den Menschen in Balance zu bringen. Es geht um Verbesserung, das Gute. Systemiker sehen in allem zwei Seiten, aber eben auch Einheit.
Die Systemtheoretiker dagegen suchen nach Unterscheidungen. Sie wollen als Beobachter dem System Rückmeldungen geben. Es ist also ein unterschiedliches Theoriefeeling, das eine näher dran an der Praxis, das andere weiter weg, bewusst eben nicht praktisch-lösungsorientiert. Das eine findet sich mehr im Coaching, das andere mehr in der Organisationsberatung statt. Beides hat seine Berechtigung. Wenn also von systemischer Teamentwicklung die Rede, ist zunächst unklar, welcher der beiden Ansätze gemeint ist. Wir bei Teamworks meinen: Beide.
Nun ist es auch eine Frage, ob es überhaupt eine Teamentwicklung geben kann, die nicht systemisch ist – also weder in dem einen noch in dem anderen Sinn.
Einer der wichtigsten, beide Ansätze einenden systemischen Gedanken ist, dass wir es stets mit Ganzheiten zu tun haben. Diese Ganzheiten sind geschlossene oder offene Systeme, die in ihrer jeweils eigenen Logik miteinander agieren. Jedes System hat eigene Muster und Spielregeln.
Ein Unternehmen nun ist eine Form der Organisation, die wirtschaftlich agiert. Es ist ein System. Das Unternehmen hat „Einheiten“, die wir Teams nennen wollen. Diese stehen in hierarchischer Beziehung zueinander und zur Organisation. Die Organisation muss zumindest gelegentlich auf das Team zugreifen und z.B. dafür zu sorgen, dass Umsatz erzeugt wird. Die Logik des Teams ist gewöhnlich eine andere. Ihm ist wichtiger, dass die Beziehung untereinander stimmt.
Organisation meldet an Team: „Die Zahlen stimmen nicht, Tu was.“
Das eine wirkt auf das andere. Systemische Teamentwicklung betrachtet solche Zusammenhänge und die sich daraus ergebenden Muster. Sie ist sich auch bewusst, dass Führungskräfte immer an den Grenzen der Systeme agieren. Sie sind immer Teil der Organisation und gewöhnlich zusätzlich mehr oder weniger Teil des Teams. Prost Mahlzeit, wenn solche Führungskräfte nicht mit den sich daraus natürlich ergebenden Widersprüchen und Konflikten umgehen können…
Die Systeme streben danach, sich selbst zu erhalten. Das bedeutet zuwiderlaufende Interessen und notwendig Widerspruch. Aber auch: Es kann etwas zusammenkommen, wenn dies dem Selbsterhalt dient. „He, cool, wenn wir eins drauflegen, gibt’s den Bonus.“ Das zu betrachten wäre systemische Teamentwicklung, eher im systemtheoretischen Sinn.
Nicht systemische Teamentwicklung würde beispielsweise nur auf das Team oder die einzelnen Menschen blicken, ohne die Organisation im Blick zu haben. Sie würde nicht berücksichtigen, dass die Führungskraft mit einem Fuß drinnen und mit dem anderen draußen steht. Praktisch könnte das bedeuten, dass man für schöne Teamerlebnisse sorgt, ganz ungeachtet der Aufgabe des Teams. Das kann seine Berechtigung haben. Und insofern, sind Teildisziplinen wie Teambuilding erst mal nicht systemisch. Müssen es auch nicht sein. Sie könnten sich aber in gewisser Weise zumindest auf Systemik berufen, wenn Sie die Teammaßnahme als Ausgleich für den Stress der letzten Monate sehen.
Der Mensch ist nicht im Mittelpunkt
Nicht systemisch wäre es auch, nur auf den einzelnen Menschen zu blicken. Praktisch könnte eine nicht systemische Maßnahme so aussehen: Alle Teammitglieder machen einen Persönlichkeitstest und finden heraus, dass sie rot, grün oder gelb sind.
Das wird dann unabhängig von der Aufgabe betrachtet. Es wird auch nicht beachtet, dass ich in diesem Teamsystem ROT sein muss, weil ich im Vertrieb arbeite und Bonus bekomme. Man schiebt also den Menschen in den Mittelpunkt und lastet ihm persönlich Verantwortung an, die er aus systemischer – vor allem systemtheoretischer — Sicht gar nicht haben kann. Solche Maßnahmen gibt es immer noch zu oft. Sie entfalten keine Wirkung für das System. Maximal führen sie dazu, dass Hans-Dieter merkt, dass er in dem Team nicht dazu gehört, weil er der einzige Intro ist… Auch das 1000 Mal erlebt.
Von Mustern und Spielregeln
Hier ist ein Gedankenexperiment von Fritz B. Simon hilfreich, dass wir euch unten verlinken. Es ist als Fußballmetapher bekannt. Danach machen Spielregeln nur Sinn im Zusammenhang und setzen voraus, dass man diese überhaupt kennt. In dem Gedankenexperiment stellt man sich vor, dass z.B. ein Außerirdischer ein Fußballspiel beobachtet, dabei aber nur den Schiedsrichter sehen kann, der wild über den Platz läuft und pfeift. Macht keinen Sinn….
Muster und Spielregeln spielen bei systemischem Denken eine wichtige Rolle. Denn wir folgen diesen unbewusst, wie auch Simons Gedankenexperiment zeigt. Jemand im System kann deshalb kaum sehen, was die Muster sind.
Hypothesen — hier sind sie erlaubt
Deshalb arbeitet man in der systemischen Teamentwicklung, noch mehr aber in der systemtheoretischen Organisationsentwicklung mit Hypothesen. Berater stellen diese Hypothesen außerhalb des Systems stehend. Als Beobachter formulieren sie nach ausführlicher Fallanamnese, jedenfalls wenn sie von uns ausgebildet sind, Aussagen wie „Das Team ist eine Gruppe.“ Dahinter steckt dann die Annahme, dass eine Gruppe oft eine andere Logik verfolgt als ein Team. Von da ausgehend lässt sich fragen, ob es überhaupt ein Team braucht und wenn ja, wie es entstehen könnte. Und gerade bei der Hypothesenbildung zeigt sich oft wie konträr Denkschulen sein können. Vor allem Coachingnahe Ansätze lehnen das teils ab. Hier würde aus unserer Sicht eine Unterscheidung helfen: In welcher Rolle bin ich gerade?
Konflikte sind immer da
Was viele nicht wissen: Auch Konflikte bilden ein eigenes System. Sie sind Voraussetzung für das Entstehen einer neuen Ordnung und gehören insofern immer dazu. Sie verselbstständigen sich von den Konfliktparteien und existieren dann unabhängig von ihnen – und sei es irgendwann als Teil der geteilten Vergangenheit. So betrachtet haben systemische Herangehensweisen auch etwas Entlastendes. Wir können die Menschen aus der Schusslinie nehmen. Durch diesen Blick ergeben sich neue Lösungen. Wir müssen nicht am Mindset rumzerren. Oder Menschen die blaue Pille geben. Wir können uns darauf konzentrieren, zu experimentieren.
Wir haben euch einige Links und Bücher zusammengestellt, die das Thema vertiefen:
- Das Gedankenexperiment von Fritz B. Simon gibt es hier
- Den Unterschied zwischen Systemik und Systemtheorie erklärt am besten jemand, der beides kennt. Das ist Barbara Kuchler, hier im Podcast bei Christina Grubendorfer (das Thema besprechen die beiden in den letzten 10 Minuten)
- Mit Christina Grubendorfer spreche ich auch in meinem aktuellen Podcast im persönlichen Newsletter „Weiterdenken“, hier
Weiterhin empfehlen wir
- Christina Grubendorfer und Christina Ackermann (Vahlen 2023): The real Book of Work.
- Eidenschink, Klaus (Carl Auer, 2023): Die Kunst des Konflikts
- Thorsten Groth und Timm Richter (Carl Auer, 2023): Wirksam führen mit Systemtheorie: Kernideen für die Praxis.
Und wer meine Coachingfallgeschichten lesen will.…
- Svenja Hofert (Vahlen, 2024, überarbeitete Neuauflage), gerne vorbestellen
Beitragsfoto: Fermate@istock.com
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