Welches Mindset braucht der Kulturwandel? 3 Hypothesen und Tipps für Pioniermenschen

Der Paradigmenwechsel hat begonnen. Es reicht dabei nicht mehr, das Alte mit Neuem aufzuladen — wir müssen grundlegende Denk- und Fühlstrukturen transformieren. Was können Personaler und Pioniermenschen tun, die vorangehen wollen?
Wir hätte es eigentlich schon viel früher wissen können. Mahner und Erinnere gab es genug. Fredmund Malik schrieb bereits vor acht Jahren in seinem Brief an junge Ökonomen über die großen Transformation 21:
„Alle Organisationen werden ihr Funktionieren mit tiefgreifenden Innovationen neu erfinden müssen. (…) Herkömmliche Erfahrungen sind für die neuen Aufgaben immer weniger nützlich.“
Malik verwendete den Begriff Pioniermanager für diejenigen, die den neuen Auftrag annehmen und vorangehen. Diesen Begriff möchte ich im Folgenden abwandeln in Pioniermenschen. Ich glaube nicht an den Manager, der vorangeht, ich glaube an die Menschen, die sich entscheiden, ein “new you” entstehen zu lassen. Das Internet und die immer stärken vernetzten Strukturen in und zwischen Organisationen lassen allen die Möglichkeit, Leadership zu übernehmen, auch ohne formalen Auftrag — siehe Rezo. Es braucht dafür nicht mal eine Organisation im herkömmlichen Sinne. Jeder, der genügend Verbündete mobilisieren kann, kann etwas bewirken. Wenn dann nur bitte demnächst mal ein paar andere Ideen als “Chartas” auf den Tisch kämen.
Das große Ganze löst das kleine Detail ab
Was für Malik die große Transformation ist für den Autor Daniel Pink das Zeitalter der Konzeptualisierung. Damit beschreibt Pink die Wesensart des neuen Paradigmas. Ich habe es in “Mindshift” Zeitalter der humanen Intelligenz genannt — es gibt viele Bezeichnungen, die im Grunde nur die unterschiedlichen Facetten im Gleichen ausdrücken.
Es geht um das große Ganze, die. Zusammenhänge, das Zusammenspiel und den übergeordneten Sinn. All das erfordert, dass sich der Mensch neben der künstlichen Intelligenz neu positioniert, er die Maschinen der Zukunft zum eigenen Nutzen und Überleben formt, vernetzt und (weiter) gestaltet. Das ist die Domäne der rechtshirnig geprägten Menschen, der Intuitiven, Kreativen, Visionären und Empathischen. Effizienz ist noch nicht überflüssig, aber weniger wichtig. Effizient sein werden Computer.
Begreifen wir Mindset als Denk- und Handlungslogik, so ist Umdeutung Voraussetzung für den Kompetenzerwerb. Das heißt, die für den Paradigmenwechsel nötigen Kompetenzen lassen sich nicht direkt schulen oder lernen. Sie können sich nur dann ausbilden, wenn sich die eigene Wahrnehmungslogik verändert hat. Dieser strukturelle Change findet nicht mehr in Seminarräumen statt, sondern auf ganz verschiedenen Ebenen. Vor allem aber ist es nicht planbar und nur möglich als selbstorganisierter Prozess, bei dem äußere Veränderungen die innere bedingen — und umgekehrt.
Pioniermenschen, Personal- und Organisationsentwickler stehen vor der Herausforderung, den Rahmen dafür zu gestalten. Sie sind gut beraten, wenn sie dabei zunächst selbst umdenken. Vor allem aber sollten sie ihren Change-Begriff umdeuten oder sich mehr als Kulturagenten verstehen (mein Video zu den Begriffen).
3 Thesen, die eine Richtung des Kulturwandels vorschlagen:
1. Bildung ohne Aus- davor: Erneuern Sie Ihr Bildungsverständnis
Das Bildungsverständnis hat sich im Laufe der Geschichte gewandelt. Platon deutete mit seinem Höhlengleichnis an, dass Erkenntnis eine Reise aus der begrenzten Welt der Dinge in eine Perspektivenvielfalt ist. In der christlichen Imago-Theorie, die unter anderem Meister Eckhardt im Mittelalter vertrat, war Bildung der Weg des Menschen zu Gottgleichheit. Für Kant entsprach Bildung Moralentwicklung, für den Dialektiker Friedrich Hegel der Fähigkeit, die Perspektiven anderer zu verstehen, also letztendlich auch die Welt und das Andere in sich aufzunehmen. Die letzteren beiden Sichtweisen sind absolut zeitgemäß, müssten jedoch wiederbelebt werden. Denn abseits der intellektuellen Welt hat sich ein anderes Verständnis durchgesetzt – das tayloristische Verständnis von Bildung als wirtschaftliche Verwertbarkeit. Und damit die Sicht auf Ausbildung als Erwerb von Zertifikaten und Leistungswettbewerb.
Bildung in der Zukunft ist Entwicklungs- und Transformationsfähigkeit. Es ist die Fähigkeit, Selbstranszendenz zu erlangen und damit Sinnerfüllung.
Sie hat kein Ende — und ihre Möglichkeiten sind unbegrenzt. Mit Scheinen jedoch wird sie immer weniger zu tun haben, je mehr sich informelle, selbstorganisierte und zeitlich nicht mehr eingegrenztes Lernen durchsetzen wird.
Was heißt das für Personaler, Pioniermanager und Menschenentwickler?
Wir sollten daran arbeiten, ein anderes Bildungsverständnis selbst vorzuleben und den Rahmen für diese Form der Bildung gestalten. Sie hat keine zeitlichen Grenzen mehr und endet nicht im Betrieb. Wir sollten Menschen einstellen, die ungewöhnliche Kombinationen im Lebenslauf haben und sich durch ein growth mindset auszeichnen. Menschen, die die Perspektiven anderer einnehmen und mit dem eigenen Innenleben verbunden sind. Letzteres ist die Voraussetzung für Reflexion und Klarheit.
2. Minimalsstrukturen statt Maximal-Einpauken: Wir brauchen offene Prozesse und emergente Inhalte
Das Trainingsgeschäft ist durch Struktur geprägt. In Train-the-Trainer-Ausbildungen hat man detaillierte Planung vermittelt — und damit auch meist eher implizit gelehrt, wie man Dynamiken in eine bestimmte Richtung lenkt — und das Emergente eher unterbindet, also die Entstehung von etwas, das vorher nicht planbar ist, doch eine Weiterentwicklung ist.
Wenn wir bei Teamworks die drei Ebenen Prozess, Struktur und Inhalt unterscheiden und uns diese als Balken vorstellen, so hat der typische Trainer 1.0 vor allem auf Struktur und Inhalt gesetzt (oder setzen müssen). Der Trainer 2.0 nahm etwas Prozess dazu. Kaum gelernt wurde aber Entwicklung, die begünstigt wird durch wenig konkreten und standardisierten Inhalt, Minimalstrukturen und Maximalprozess sowie iterative Struukturen.
In einem solchen Rahmen entstehen emergente Dynamiken. Gewohnheiten werden aufgebrochen. Auch Unsicherheit kann sich breitmachen, ebenso wie Irritation und Unwohlsein. Diese aber sind Voraussetzung von Entwicklung und müssen kommuniziert sein. Sicherheit braucht eine Erschütterung, die Frage „kann auch das wahr sein?“ oder „was wäre, wenn das wahr wäre?“
Unser Gehirn ist stetig veränderbar, aber kein Computer: Wir können nicht einfach Neues einspielen und Altes löschen, wir müssen immer „überlernen“.
Das führt zwangsläufig dazu, dass sich Neues und Altes gegenseitig behakt.
Der Prozess des Neulernens erfordert Babyschritte. Vor allem aber auch Mut und Vertrauen, dass ohne Struktur etwas entstehen wird, nur was, das wissen wir nicht genau. Führungskräfte können das kaum aushalten, sind sie doch gewohnt aus einer “Eltern-Ich”-Perspektive zu handeln, im Glauben, unentbehrlich zu sein. Experten ebenso: Ihr Glaube ist, alles in ihrem Fachbereich zu wissen. Beide Haltungen sind identitätsbildend und ihre Erschütterung erschüttert.
Welches Mindset brauchen Personaler und Pioniermenschen für den Kulturwandel?
Als Personaler und Menschenentwickler muss uns das bewusst sein. Und wir müssen die immer wieder gegebenen Forderungen nach Strukturen, Kochrezepten, schnellen Lösungen und Effizienz kontern können. Wir müssen Gruppen spiegeln und Prozesse reflektieren und mit dem Paradigmenwechsel verbinden können. Das erfordert eine viel größere Verhaltensflexibilität und vor allem Haltung.
3. Wir müssen die Verbinder stärken, nicht die Experten
Führungskräfte die sich über ihre Position und Fachexperten, die sich über Maschinenähnlichkeit definieren, erleben derzeit eine massive narzisstische Kränkung. Maschinelle Intelligenz lernt exponentiell, allerdings — und das darf man nie vergessen -, nur bezogen auf sehr begrenzte Algorithmen. Diese Begrenzung haben wir bei in der Expertenausbildung sogar gefördert, trotz T‑Shape!
Wer ebenso auf begrenztes Wissen setzt und selbst gern computergleich wäre, erlebt derzeit denselben Schock wie der chinesische Go-Weltmeister Ke Jie (dazu habe ich im eigenen Blog geschrieben).
Auch traditionelle Führungskräfte werden in ihrem Selbstverständnis gekränkt, wenn sie als Besser-Wisser und Entscheider nicht mehr gefragt sind. Journalisten, Politiker – es trifft alle. Das neue Paradigma zieht den alten Boden weg.
Stattdessen ist der Zeitalter eher rechtshirnig betonter Stärken angebrochen (wobei die strenge Teilung der Gehirnhälften eher als Metapher zu verstehen ist): Empathie, Kreativität, die Fähigkeit zur Konzeptualisierung und zum intuitiven Verbinden, letztendlich also humane Intelligenz. Benerkenswert, dass der Vlogger Rezo Informatik UND Musik studiert hat, denn er zeigt damit auch eine Verbindung von scheinbaren Gegenpolen – und setzt hier aus meiner Sicht einen Bildungstrend. In seinem Video zeigt er diese Verbindungsfähigkeit auf einer Ebene, die mit Informatik und Musik nichts mehr zu tun hat – und mit Journalismus gar nicht verglichen werden muss, denn es ist etwas Anderes.
Verbinden lässt sich auf verschiedenen Ebenen: Wir können Inhalte verbinden und dabei neu erschaffen, das ist ein grundlegendes Kreativitätsprinzip (dazu mehr in diesem Artikel). Wir können aber auch Menschen, Meinungen und Positionen verbinden – das ist kreative Kommunikation. Menschen, die das könnne, sind automatisch ambiguitätsfähig. Wer verbinden kann, muss einfach mit Widersprüchen umgehen können, sonst kann er es nicht wirklich.
Welches Mindset brauchen Personaler und Pioniermenschen für den Kulturwandel?
Setzen Sie im Kulturwandel auf die richtigen Minds, auf die, die Vorbild genau in den oben beschriebenen Disziplinen sind. Fördern Sie alle Aktivitäten der rechten Gehirnhälfte, also Spiel, Experiment, Erleben. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch mehr Philosophie in die Unternehmen getragen werden muss. Denn wenn wir uns über Grundannahmen und Paradigmenwechsel unterhalten, hilft sie bei der logischen Strukturierung und emergenten Entwicklung von Gedanken.
In unserem Workshop „Agiles Mindset und Coaching“ sprechen wir Pioniermenschen an, die hierzu praktische Herangehensweisen kennenlernen möchten. Im Juni sowie im Oktober in Hamburg sind noch Plätze frei. Jetzt anmelden.
Beitragsfoto: Shutterstock — By Gustavo Frazao
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Liebe Frau Hofert,
guter Artikel. Und keine Angst, wir planen noch andere Dinge als die New Work Charta. 🙂 Aber die Charta ist ein sehr guter Anfang, um Stimmen zu bündeln und eine Richtung zu geben. Dass wir hier ins Tun kommen müssen — da sind wir absolut derselben Meinung.
nichts gegen Chartas, nur sind es mir im Moment ein paar zuviel — und ich finde ja NEUES ganz toll. LG Svenja Hofert