Fünf “Kurz­schlüs­se” in Fra­gen der Agilität

Zu kurz gedacht

„Agi­li­tät“ ist in der Coro­­na-Pan­­de­­mie für vie­le erst recht ein Hoff­nungs­trä­ger. Doch immer noch ver­lei­ten agi­le Trans­for­ma­tio­nen Orga­ni­sa­tio­nen zu “Kurz­schlüs­sen”. Damit mei­nen wir Maß­nah­men, die auf fal­schen Annah­men, etwa zu Grup­pen­dy­na­mi­ken, Rol­len­kon­flik­ten, Feed­back sowie Mensch und Mind­set basie­ren. Ein Blick hin­ter die Kulissen.

Ein Kurz­schluss führt ins Dun­kel. Auch wenn man immer wie­der den Hebel run­ter­drückt: In man­chen Orga­ni­sa­tio­nen und Mana­­ger-Köp­­fen wird es gar nicht mehr hell.

Vor eini­gen Jah­ren schrieb ich, damals in mei­nem per­sön­li­chen Blog mit der Kolum­ne „ein Tan­ker ist ein Schnell­boot“ einen Bei­trag, der eine weit über­durch­schnitt­li­che Reso­nanz erziel­te. Was dar­in steht, ist immer noch gül­tig. Doch vor allem in der letz­ten Zeit sind Aspek­te sicht­bar gewor­den, die einen nöti­gen, ernst­haf­ten Dis­kurs verhindern.

Nicht-Ver­­än­­de­rung hat eine Funktion

Natür­lich hat das alles eine Funk­ti­on. Das „agi­le Busi­­ness-The­a­­ter“ hat sei­nen Zweck. Es scheint so, als bewe­ge sich etwas, doch abends gehen die Rol­­len-Schau­­spie­­ler nach­hau­se — und es hat sich nicht wirk­lich viel getan. “Scrum Mas­ter”, “Pro­duct Owner” oder “Öko­nom” —  viel­fach belas­ten die neu­en Rol­len mehr als das sie hel­fen. Es wird bei­spiels­wei­se unter­schätzt, dass neue Rol­len und Ver­hal­tens­wei­sen mit reflek­tier­ter Pra­xis ein­her­ge­hen müs­sen. Andern­falls bleibt das Neue im Alten ste­cken — oft ohne es selbst zu mer­ken. Erkenn­bar ist es an einer selt­sa­men Begriffs-Mas­ke­ra­­de, hin­ter der sich Ver­hal­tens­wei­sen von ges­tern ver­ste­cken. Wenn etwa jun­ge Digi­ta­le zwar bewun­dert wer­den, aber nicht wirk­lich in Ent­wick­lun­gen ein­be­zo­gen, zeigt dies, dass es immer noch um das Sta­tus­den­ken aus Schorn­stein­kar­rie­ren­zei­ten geht.

Fünf “Kurz­schlüs­se” im Überblick

Ers­ter Kurz­schluss: Der Glau­be an ein Wort

Zunächst ist „Agil“ nur ein Wort, eine rei­ne Fan­ta­sie also, die jedes Kol­lek­tiv mit eige­ner Bedeu­tung fül­len muss. Ich mache in mei­nen Work­shop dazu gern einen Aus­flug in Wort­be­deu­tun­gen, den ich „Kon­struk­ti­vis­mus light“ nen­ne. Die Übung macht bewusst, dass hin­ter jedem Begriff am Ende Gefüh­le ste­hen, die auf dem indi­vi­du­el­len Erfah­rungs­wis­sen und dem Erfah­rungs­ler­nen der Kol­lek­ti­ve beru­hen. Hier emp­feh­le ich unser Unter­schei­dungs­vi­deo Grup­­pe-Team-Kol­­lek­­tiv, beti­telt “Team or no Team”.

Hat man wirk­lich nicht nur kogni­tiv ver­stan­den, son­dern auch gefühlt – dass “agil” ein Wort ist, das sogar Kör­per­re­ak­tio­nen aus­löst, braucht man es mög­li­cher­wei­se nicht mehr. Etwa, weil die Reak­tio­nen mehr hin­dern als bewe­gen. Auch dar­über müs­sen Orga­ni­sa­tio­nen in den Dis­kurs gehen. Die Fra­ge dahin­ter: Was macht das Wort mit den Mit­ar­bei­tern? Bewegt es? Oder löst es Wider­stand aus?

Es geht dar­um, in der Gegen­wart die Wei­chen für die Zukunft zu stel­len. Wor­te hel­fen bei die­ser Wei­chen­stel­lung. Noch ent­schei­den­der ist, wel­ches Ver­hal­ten sie bezeich­nen, begüns­ti­gen, ermöglichen.

Zwei­ter Kurz­schluss: Das agi­le Lösungsdenken

Wer viel Erfah­rung in der Arbeit mit Men­schen und Grup­pen haben, den ver­wun­dert, wie ver­ein­fa­chend die ver­ant­wort­li­chen Ver­tre­ter in Orga­ni­sa­tio­nen Ver­än­de­rung betrach­ten. Das sich das eine nicht auf das ande­re über­tra­gen lässt, scheint nicht nur mir so logisch, dass ich mich manch­mal fra­ge, wel­che Funk­ti­on die Blind­heit für grup­pen­dy­na­mi­sche Aspek­te hat.

In jedem BWL-Grun­d­­kurs ler­nen wir, dass Orga­ni­sa­tio­nen ver­schie­de­ne Pha­sen durch­lau­fen. Wir alle wis­sen, dass Kul­tur mehr durch Märk­te und Wett­be­werb bestimmt ist als durch Men­schen. Uns soll­te, zumal in höhe­rer Posi­ti­on, doch klar sein, dass ein inha­ber­ge­führ­tes Unter­neh­men sich in (fast) nichts mit einem bör­sen­no­tier­ten Kon­zern ver­glei­chen lässt. Es erstaunt — und dann auch nicht. Mus­ter­er­ken­nung soll­te eine Auf­ga­be von Retro­spek­ti­ven sein, jedoch wird die­se sel­ten auf höhe­rer Manage­ment­ebe­ne im Team betrie­ben. Kein Wun­der, dass der so wert­vol­le “Intel­­li­­genz-der-Grup­­pe-Mecha­­nis­­mus” auch wei­ter “unten” stockt.

Mus­ter­er­ken­nung bringt Kom­ple­xi­täts­er­kennt­nis­se her­vor und neue Hypo­the­sen… wie die­se, dass Coro­na und die Fol­gen wie Home Office auf lan­ge Sicht zu WENIGER Inno­va­ti­on füh­ren könn­ten, wie jüngst auch eine Sta­tis­tik im HBM (Aus­ga­be 10/2020) andeu­te­te. Wie das? Mög­li­cher­wei­se als Fol­ge abneh­men­der Streit­kul­tur und Bin­dung im vir­tu­el­len Raum.

Ich ver­mu­te, der Kurz­schluss wur­zelt in der Tat­sa­che, dass sich vie­le über­haupt kei­ne Zeit neh­men, über all die­se Din­ge mal nach­zu­den­ken… genau­er, den Ver­än­de­run­gen nach­zu­spü­ren, die sich aus einer Ver­schie­bung von Ein­­zel- auf Grup­pen­den­ken ergeben.

Drit­ter “Kurz­schluss”: Der Glau­be, Grup­pen lie­ßen sich coachen

Die­ser Kurz­schluss wäre ganz ein­fach auf­zu­lö­sen, wenn wir begin­nen wür­den, uns mal die Bau­wei­se der Ele­men­te anzu­schau­en, die wir als “Teams” bezeich­nen. Nie­mand hört gern, dass das, was er bis­her als Team ange­se­hen hat, kei­nes ist. Dass gemein­sa­me Zie­le kein Garant für Bin­dung sind, ist eben­so kei­ne belieb­te Erkennt­nis. Anstatt sich für eine Umstruk­tu­rie­rung und kla­re struk­tu­rel­le­Ent­schei­dun­gen zu ent­schei­den, wäh­len vie­le den (ein­fa­che­ren) Team­bil­dungs­work­shop. Dabei bräuch­te man… beides.

Die Grup­pe als Ansamm­lung von Indi­vi­du­en mit zeit­wei­sem gegen­sei­ti­gen Inter­es­se oder unter mehr oder weni­ger hef­ti­gem Nor­mie­rungs­druck erken­nen wir schon an der Zahl der Team­mit­glie­der: Mehr als 10 wer­den kaum ein Team, selbst mit der schöns­ten Can­vas nicht. Wir erken­nen es wei­ter­hin an der Häu­fig­keit des Zusam­men­kom­mens: Nein, wer sich alle zwei Wochen trifft, wird kein Team.  Maß­geb­lich auch die Stär­ke der Ziel­bin­dung, die wesent­lich mode­riert wird durch den Grad der gegen­sei­ti­gen Abhän­gig­keit und geteil­ten Werte.

Wenn kei­ne gemein­sa­men Res­sour­cen da sind und kei­ne Team­per­sön­lich­keit ent­ste­hen durf­te, muss man sich eben­so nicht wun­dern, dass es selbst mit agi­len Metho­den über­haupt nicht vor­an geht. Ja, dass die­se es noch schlim­mer machen und den Kon­flikt erhö­hen, erkenn­bar an der Fluk­tua­ti­on in Unter­neh­men, die eine sol­che haben.

Vie­le arbei­ten sich also unter dem Label “Team” dar­an ab, Indi­vi­du­en in Grup­pen zu Ver­hal­tens­än­de­run­gen zu bewe­gen. Das ist kon­tra­pro­duk­tiv. Es kann nur mit hohem Grup­pen­druck funk­tio­nie­ren. Die­ser aber steht dem agi­len Gedan­ken der Offen­heit kon­trär gegenüber.

Vier­ter “Kurz­schluss”: Die Annah­me, es gin­ge um Menschen

Orga­ni­sa­tio­nen bestehen aus Inter­ak­tio­nen von Men­schen, jedoch nicht aus den ein­zel­nen Men­schen selbst. Wan­del fin­det dort statt, wo das Kol­lek­tiv im Mit­tel­punkt der Ver­än­de­rungs­be­mü­hun­gen steht. Der Blick auf den ein­zel­nen Men­schen ist mensch­lich — im Zuge not­wen­di­ger Ver­än­de­run­gen aber sinn­los. Man kann nicht jeden mit­neh­men, soll­te es auch nicht. Es geht viel­mehr dar­um, Struk­tu­ren und Gefä­ße für Inter­ak­tio­nen zu schaf­fen. Die Bedeu­tung von Füh­rung über Struk­tu­ren wird unterschätzt.

Die Bot­schaft muss lau­ten: Das Ich ist Teil des Wirs. Ent­schei­dun­gen sind im Sin­ne der gro­ßen (Orga­ni­sa­ti­on) und klei­nen (Teams) Kol­lek­ti­ve zu tref­fen. Indi­vi­du­el­le Per­spek­ti­ven sind wert­voll, solan­ge sie dar­auf ein­zah­len. Befind­lich­kei­ten jedoch soll­ten sich nie in die­sen spie­geln, Wan­del muss auf der Ebe­ne Kol­lek­ti­ve und Teams stattfinden.

Dass dage­gen vor allem dann Wider­stand ent­steht, wenn dadurch indi­vi­du­el­le Inter­es­sen tan­giert sind, ist kein Wun­der. Wes­halb der fünf­te Kurz­schluss folgt.

Fünf­ter Kurz­schluss: Das kon­text­un­ab­hän­gi­ge Fest­hal­ten an Partizipation

Not­wen­di­ge Ent­schei­dun­gen wer­den oft aus Rück­sicht­nah­me auf (mäch­ti­ge) Indi­vi­du­en verschleppt.

Doch Wan­del ist in grö­ße­ren Orga­ni­sa­tio­nen anders als in klei­ne­ren gewöhn­lich kei­ne Fol­ge par­ti­zi­pa­ti­ver Entscheidungen.

Ich gehe soweit zu sagen: Er ist in einem demo­kra­ti­schen Eini­gungs­pro­zess kaum durch­führ­bar, zumal nicht, wenn es schnell gehen muss und ans Ein­ge­mach­te. Wir brau­chen drei­er­lei: Ers­tens eine kla­re Rich­tung und zwei­tens Man­dats­trä­ger, deren Auf­ga­be deren Ver­fol­gen ist. Und drit­tens Kontrollinstanzen.

Der Fra­ge „Wohin wol­len wir?“ hal­te ich in die­sem Zusam­men­hang wich­ti­ger als das belieb­te “War­um?”. Ihr fol­ge ich in mei­nem Buch „Füh­ren in die post­agi­le Zukunft“ (bit­te E‑Book erst nach dem 12.10. bestel­len, da die der­zei­ti­ge Ver­si­on im Moment noch von Feh­lern befreit wird).

Schluss­ge­dan­ken

Was wir der­zeit in der Coro­­na-Deba­t­­te sehen, bil­det sich auch in Orga­ni­sa­tio­nen ab.

Es herrscht Schwarz­weiß­den­ken vor, es wird zu früh und zu viel bewer­tet, ver­ur­teilt und tabuisiert.

Es fehlt die Bereit­schaft zu einem offe­nen Aus­tausch, der nicht sofort die Lösung im Blick hat, son­dern erst ein­mal auf das Ver­ste­hen aus­ge­rich­tet ist, auch und gera­de das rück­bli­cken­de. Reflek­tie­ren­de Pra­xis (Refle­xi­on) und Maß­nah­men­ka­ta­lo­ge (Action) ste­hen sich gegen­sei­tig im Wege. All­zu­oft wer­den Pro­zes­se nicht getrennt, was ech­te Erkennt­nis­se schon im Keim erstickt.

In der Öff­nung nach außen sehe ich einen der größ­ten Hebel für Ver­än­de­rung im Inneren.

Zu die­sen The­men emp­feh­le ich auch den wun­der­vol­len Arti­kel von Judith Mus­ter in der Brand­eins über Füh­rung und die Qua­li­tät lee­rer Begrif­fe wie eben „agil“.

Im Semi­nar “Agi­ler mode­rie­ren” erfah­ren Sie wie tief Retros gehen kön­nen. Ide­al für reflek­tie­ren­de Prak­ti­ker ist Next­le­vel­coa­ching.

Foto: Muroz @dreamstime.com

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