New Work: Bullshit oder die Zukunft der Arbeitswelt?
Ein Streifzug durch die New-Work-Landschaft

Ist New Work mehr als nur ein weiteres Buzzword? Oder hat es Zukunft? Ich habe mir die verschiedenen Ansätze angeschaut — und fünf Bücher gelesen.
New Work ist auf der ganzen Welt angekommen. Die Autoren Anna und Nils Schnell haben ein ganzes Jahr nach Unternehmen gesucht, die New Work leben. Sie sind überall fündig geworden, selbst in der Mongolei.
Eine Weltreise zu New Work
Auf der Reise gibt es so einige Entdeckungen: Dominque Alonga, die jüngste Verlegerin Afrikas, will neue Narrative für den Kontinent entwickeln. Beim Unternehmen “No Moss” in Australien entschieden die Mitarbeiter, dass sie statt Finanzprodukten lieber Spiele-Apps entwickeln wollten. People-First-Entscheidungen nennt man das auf New Work-isch. In Sarejewo gibt es “partnership-powered, culture-driven und knowledge-sharing” Companies. Die sich zudem eine Begrenzung auferlegt haben: Sie wollen nie mehr als 80 Mitarbeiter haben. In Ulaanbatur in der Mongolei lebt die Naturkosmetikfirma L´hamour die nachhaltige Seite von New Work.
New Work löst Agilität ab — aber das macht kaum einen Unterschied
Die Firmen haben ein “Wachstumsmindset” und unternehmen einen “Shift to Leadership”. Ich fand das spannend zu lesen: Mehr Reisebericht als Fachbuch, mal was anderes.

Tabelle 6 New Work — Ansätze Copyright Svenja Hofert
Wir merken auch bei Teamworks an den Anfragen, dass New Work Agilität abzulösen scheint. Der Fachkräftemangel, so scheint es, treibt Firmen in eine neue, teils verzweifelte Lösungssuche. New Work liefert da ein neues Versprechen. Könnte ja ein Rezept sein (ist es aber nicht).
Das Problem: Das Versprechen nach einem allgemeingültigen Rezept könnte genausogut Agilität heißen. Oder einen anderen Namen tragen. Denn inhaltlich ist die Trennlinie völlig unscharf. Fünf Bücher habe ich gesichtet, um mir in meiner These sicher zu sein. Kaum ein Feld produzierte in den letzten Jahren derart viele Publikationen.
Lärm um nichts oder etwas?
Viel Lärm um nichts? Nicht ganz. Tatsächlich verändert sich die Arbeitswelt. Die Phänomene gibt es, die Probleme auch, Natürlich haben wir einen Fachkräftemangel. Ja, die Arbeitswelt spaltet sich. Remotework ist definitiv anders und erfordert andere Herangehensweisen.
Klar ist auch: Wir müssen das Team in die Vordergrund stellen, um die Probleme der Zukunft zu lösen. Ebenso unbestritten ist, dass es eine neue Beweglichkeit braucht. Und ein neues Denken, nennen wir es “Mindset”. Vor allem aber brauchen wir die Erkenntnis, dass wir in Systemen denken müssen.
Die Folge muss sein, dass wir individuelle Lösungen finden müssen, von innen heraus.
Meeting Room Diversity — geht’s noch?
Die Lösungen, die New-Work-Experten geben, tun das eher nicht. Vieles bewegt sich auf der Tool-Ebene. Und manch Tool etwa im durchaus lesenswerten Erstling von Nils und Anna Schnell “50 New Work Hacks” wirkt an den Haaren herbeigezogen, etwa die “Meeting Room Diversity”. Womit ich die Sinnhaftigkeit eines vielfältigen Raumkonzepte überhaupt nicht bestreiten will.
Ja, ich bin sogar der Meinung, dass Raum ein Schlüssel für Veränderung ist. Aber er muss nicht divers sein. Ich gehe da eher mit Lynda Gratton Konzepts der Redesigning Officework.
New Work Bullshit
Sind wir also im Bullshit-Bingo angekommen? Das jedenfalls meint der Autor Carlo Frischmuth, der im seriösen FAZ-Verlag veröffentlicht hat. Tatsächlich ist seine Literaturliste ebenso ordentlich wie seine Recherchen. Die kritischen Gedanken kommen immer ausgewogen daher und versuchen dem Leser Orientierung zu geben, was dran ist an bestimmten Thesen — und was nicht.
Für Leser, die sich ein Bild machen wollen, kann ich dieses Buch empfehlen. Er zerreißt nämlich nicht, sondern stellt dar, was an den Hype-Themen Wahres dran ist.
New Work nur Mindset oder Tool?
Kritischer sehe ich die reinen Methoden- und Tool-Ansätze, die strategische Fragen nicht mal andenken. So bin ich der festen Überzeugung, dass es illusorisch ist, rein über Bedürfnisse und Motivationen zu gehen wie es die Autorin Andrea Matheus in ihrem gut geschriebenen “Crashkurs New Work” tut. Der Mensch im Mittelpunkt ist eine hehre Wunschvorstellung, aber nicht die Realität.
Organisationen sind nichts ohne Menschen — aber sie müssen überleben. Spätestens in wirtschaftlichen Krisen wird dann deutlich, dass das Entscheidungen nicht immer humanzentriert sein können, sonst wären sie nicht mehr unternehmerisch.
Träumen erlaubt
Träumen allerdings muss erlaubt sein. Und so kommen in Carsten Schermulys spannender Sachbuch-Utopie auch keine größeren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisen vor. Stattdessen zeichnet er ein Zukunftsbild, mit Gruß an Thomas Morus. Das Gedankenexperiment ist dann auch sein Ziel. In seinem Buch sind die Stärkanderinnen davon überzeugt, dass Besitz und Engagement miteinander Hand in Hand gehen. Schermuly ist Professor an der SHR Berlin und kein blauäugiger Utopist. Er forscht zu dem Thema. Und er kennt Belege für die Bedeutung von psychischem Empowerment.
Ich bin etwa 20 Jahre älter als die meisten der Buchautoren, die um 1985 geboren sind. Eine Ausnahme scheint Herr Frischmuth zu sein. Das macht uns vielleicht etwas abgeklärter. Ich selbst habe den Aufstieg und Fall der New Economy erlebt — ich war mitten drin. Da war vieles ähnlich, wenn auch nicht so grün, nachhaltig und Sinnbehaftet wie heute. Aber die Muster mit denen andere aus einer Mischung aus Verliebtheit und Neid auf einen wirtschaftlichen Zweig blicken, der anders lebt und arbeitet, erkenne ich wieder.
Geschäftsmodelle wichtiger als viele denken
Es sind so gut wie immer kleinere und maximal mittlere Unternehmen, die die Dinge anders machen. Was sie anders machen ist weitgehend, wenn nicht vollständig geprägt durch ihre Geschäftsmodelle. Das ist Conway´s Law, das eine Art Vorbestimmen der Kommunikationsstrukturen durch Produkt- und Geschäftsstruktur annimmt.
Das, was diese machen, wird weitgehend unkritisch auf Unternehmen in völlig anderen Phasen übertragen, ja auf Organisationen allgemein. Die Dysfunktionalität, die sich manchmal schlicht und ergreifend aus “Altersgebrechen” ergibt wird dabei ausgeblendet.
Ich habe sehr viele Unternehmen “Agilität” einstellen oder abschaffen gesehen, wenn sie merkten, dass es ihre Geschäftsprozesse tangiert, dass es sie entschleunigen muss. Auch wenn sie festsstellten, dass sie mit Dingen aufhören mussten.
Das wird auch die Herausforderung bei New Work sein. Es reicht nicht, ein wenig Kosmetik aufzutragen, ob man nun einen humanzentrierten oder technologiegetriebenen Ansatz fährt. Wer davon überzeugt ist, dass empowerte Menschen produktiver sind, muss auch zu Konsequenzen bereit sein. Man kann nicht alles haben.
Doch ich vermute wir werden sehr bald einen starken Gegentrend erleben. Die zunehmend sichtbare wirtschaftliche Schwäche Deutschlands wird auch auf die Wahrnehmung von New Work wirken.
Andrerseits kann genau diese ein Treiber für New Work sein: Wir sind ein schlaffes, ein sattes Land mit viel zu wenig unternehmerischem Elan. Es braucht Ideen und Gründer, die die Dinge anders machen.
Für die “alten” Unternehmen gilt: Es braucht Bewegung. Hier ist psychologische Sicherheit aus meiner Sicht die Voraussetzung sowohl für New Work als auch für Agilität. Denn dabei geht es nicht um die Komfortzone, sondern um die Frage, ob Menschen sich sicher genug fühlen, im Sinne der Organisation Risiken einzugehen.
Und Risiken brauchen wir gerade jetzt.
Meine Summer School New Work wird sich ausgewogen systemisch-integrativ mit dem Thema beschäftigen und nach Lösungen für die Teilnehmenden suchen.
Bücher zu New Work
Anna Schnell / Nils Schnell (2021): Die Modern Work Tour. Eine Weltreise in die Zukunft der Arbeit. Gabal 2021
Das Buch ist lebendig und interessant geschrieben. Es ist wie ein moderner Reiseführer und liest sich auch so. Ich fand es spannend, mir die vielen Bilder anzusehen und die kleinen Geschichten zu lesen. Man spürt, dass es durch die Generation der Autoren geprägt ist und deren Erfahrung in technologielastigen Umfeldern wie Jimdo. Insofern ist es auch eine Art von Selbstbeschreibung einer Generation, für die Workations und Sinn eine tolle Sache sind. Empfehlenswert für Impulse.
Nils Schnell: New Work Hacks (2019). 50 Inspirationen für modernes und innovatives Arbeiten. SpringerGabler
Mich hat das Buch etwas an den dritten Teil von meinem Agil-Erstling “Agiler Führen” erinnert. Es besteht vor allem aus 50 Work-Hacks und einige davon habe ich selbst unter “Agilität” gelistet. Das zeigt die geringe Trennschärfe. Gleichwohl ist dieses Buch sehr gut geschrieben und die Hacks sind wertvoll für die, die damit noch nie Berührung hatten. Alle anderen haben ein Agilitäts-Deja-Vu.
Frischmuth, Carlos (2021): New Work Bullshit. Frankfurt: FAZ Verlag
Das ist das “seriöse” der von mir gelesenen Werke, in dem Sinn, dass Frischmuth sich selbst nicht mit dem Thema vermixt. Er hat Distanz und betrachtet die Dinge aus dieser Distanz seriös. Ich freue mich immer, wenn jemand sich die Mühe macht und ein ausführliches Literaturverzeichnis anlegt. Der hat sich dann nämlich meist auch wirklich tiefer mit den Themen beschäftigt. Das Buch ist empfehlenswert für Menschen, die sich eben so (distanziert) mit dem Thema befassen wollen, ohne einer Workation-Sogwirkung. Frischmuth ist Managing Director bei Hays ist und Vorstand beim Verband selbstständige Wissensarbeit. Man merkt, dass er ein Arbeitsmarktspezialist ist. So ist es vor allem eine Perspektive auch für die, die den Fachkräftemangel als Initialzündung für ihren New-Work-Wunsch sehen.
Schermuly, Carsten (2022): New Work Utopia. Freiburg: Haufe 2022
Dieses Buch möchte ich nicht ohne das passende wissenschaftliche Buch “Gute Arbeit gestalten. Psychologisches Empowerment von Mitarbeitern” (Haufe-Verlag) vorstellen. Denn wenn man beide zusammen sieht, erkennt man Hand und Fuss. Die New Work Utopia selbst ist eine spannend zu lesende Fachbuch-Science-Fiction. Schermuly beschreibt das Unternehmen Stärkande, das 1999 von zwei Schwestern gegründet wurde und nun rund 1.200 Mitarbeitende hat. Schon früh setzen die beiden auf Empowerment. Das zieht sich dann auch als roter Faden durch das Buch. Dabei wird das Thema so leicht heruntergebrochen, dass es für jeden fassbar wird. Man lernt nebenbei wie man Rollenprofile aufsetzt. So ist die Führungskraft bei Stärkende auch Sinnstifterin. Ein ganz anderer Ansatz, um ein Thema zu vermitteln, das schwer in den Managementkontext zu bringen ist.
Matheus, Andrea: Crashkurs New Work. Freiburg: Haufe 2022
Frau Matheus bietet unter anderem ein Workshop-Konzept, dass sich an Bedürfnissen orientiert. Das nennt sie “Mirror of Success”. Man liest, dass sie aus der Rolle einer Trainerin schreibt, nicht aus Beraterperspektive, denn es fehlt der ganzheitliche Blick auf die Organisation. Sie stellt altbekannte Modelle vor wie etwa das Modell der Dysfunktionen nach Lencioni. Dabei nutzt sie 1:1 unsere Darstellung aus dem Jahr 2015, ohne uns als Quelle zu benennen. Es kommen kalte und heiße Konflikte vor und Bedürfnisse und Motive. Das alles ist nett zusammengetragen und auch geschrieben. Es könnte aber auch alles andere auf dem Buch stehen, zum Beispiel “Crashkurs produktive Zusammenarbeit”. Spannungsfelder zwischen Organisation und Team oder Schwierigkeiten werden nicht benannt.
Um es transparent zu machen: Das Reisebuch von Schnell/Schnell sowie die Bücher von Carsten Schermuly und Carlos Frischmuth wurden mir zur Verfügung gestellt, die anderen drei habe ich gekauft.
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