Ohne Chefs und Jobtitel: Fünf der fortschrittlichsten Unternehmen der Welt haben selbstorganisierte Teams
Holokratie und “teal” Organisationen

Funktioniert Selbstorganisation? Frederic Laloux, Autor des Buchs „Reinventing Organizations“ ist überzeugt davon (Rezension im Blog von Svenja Hofert). Wir stellen fünf Unternehmen vor, die ganz anders funktionieren als alles, was wir kennen. In diesen Unternehmen gibt es keine Chefs und keine Job Titel. Sie arbeiten auch nicht nach Zielvorgaben und KPIs (Key Performance Indikatoren). Teams sind selbstorganisiert.
Der Trend zu New Work, zu so genannten “Teal-Organisationen”, zur Holokratie und Selbstorganisation von Teams ist allgegenwärtig. Vorreiter sind agile Systeme wie Kanban und Scrum, die Selbstorganisation in Teile der Unternehmen bringen, meist der Softwareentwicklung und Produktion.
Holocracy oder Holokratie ist radikaler, weil es das ganze Unternehmen und nicht nur die Ebene der Selbstorganisation von Teamarbeit in einzelnen Abteilungen umfasst. Holokratie ist somit eng mit dem Gedanken der “teal” Organisation nach Laloux verbunden. In der Holokratie wird Führung und Entscheidungsfindung komplett von selbst organisierten Teams getragen (mehr Info). Holokratie ist ebenso wie agiles Projektmanagement Rollen- und Prozessorientiert. Selbstorganisation entsteht nicht durch den Verzicht auf Führung; es ist vielmehr ein organisierter und strukturierter Lernprozess.
Die hier vorgestellten Unternehmen arbeiten nach dem Prinzip der teal Organisationen, selbstorganisiert, ohne Führung und Jobtitel und offen nach außen:
1. Buurtzorg
Buurtzorg Nederland wurde 2006 von Jos de Blok und einigen Krankenpflegern als Non-Profit-Organisation gegründet. Sie waren unzufrieden mit dem ineffektiven Gesundheitswesen in den Niederlanden. Zusammen entschieden sie ein neues Geschäftsmodell zu etablieren, dass es alten Menschen so lange wie möglich gestattet, in der Gemeinschaft autonom zu leben und so professionell wie möglich zu versorgen, auch mit Hilfe von IT. Das Unternehmen startete mit sechs Mitarbeitern und beschäftigt inzwischen 10.000 in mehreren Ländern der Welt. Durch die Selbstorganisation in kleinen Teams erhalten die einzelnen Pflegern mehr Verantwortung und die Möglichkeit, Arbeitsprozesse aktiv mitgestalten zu können. Dies erhöht sowohl die Kundenzufriedenheit des Patienten als auch die Arbeitszufriedenheit des Pflegepersonals. Ernest & Young attestierte der Firma Einsparungen von vierzig Prozent gegenüber herkömmlichen Systemen, KPMG ermittelte 50 Prozent weniger Zeitaufwand, weil ausgebildete Pfleger sich besser auf das wirklich Wichtige konzentrieren können. Mehr Info.
2. ESBZ, Schule im Aufbruch
Auch eine Schule taucht auf der Liste von Laloux auf: Die ESBZ in Berlin, eine Reformschule von Margret Rasfeld gegründet, die das Lernen radikal revolutionieren will – und zwar weit über diese eine Schule hinaus. Schüler sollen ihre Talente und Potenziale entdecken und im aktiven Austausch mit der Gesellschaft sein. Haltung und Handeln müssen Hand in Hand gehen — so die Devise. Es gibt keine Mitgliedschaft in einem strengen Verein, alle sind aufgefordert mitzuarbeiten. Die Verzahnung mit der Gesellschaft wird konsequent gelebt, keine elitäre „Clubbildung“ wie sonst im Privatschulbereich üblich. Und auch keine Schulleitung.
3. Favi
Das französische Unternehmen der Metallfertigung hat seine 500 Mitarbeiter schon früh in 21 selbstorganisierende Teams geteilt. Chaos entstand dadurch nicht, im Gegenteil: Seit 20 Jahren hat Favi keinen Liefertermin überschritten. Schauen Sie sich die Website an. Dort sieht man nichts, was modern oder fortschrittlich wäre — Employer Branding-Kosmetik hat Favi nicht nötig. Doch Favi ist trotz bescheidener Websiteoptik eines der Helden in „Reinventing organizations“ und viel zitiertes Fallbeispiel für „teal organizations“. Das System Favi lässt sich auf der Website in Form von Gegensätzen (so sind wir/so die anderen) nachlesen.
Beispiele:
- 35) Cultiver des liens / communiquer (Kultivieren von Verbundenheit versus Kommunizieren)
- 36) Visions émotionnelles / objectifs (emotionale Visionen statt Ziele)
4. Heiligenfeld Kliniken
Auch in Deutschland gibt es Unternehmen, die „teal“ sind. Laloux nennt die Heiligenfeld Kliniken, die zum Verbund der Stiftung Lebenslernorte gehören. Ihre Vision: „Arbeitszeit ist Lebenszeit. Eine gegenseitige Befruchtung von Spiritualität und Ökonomie im Sinne der gegenseitigen Förderung und Potenzierung….“ Auch hier keine Chefs und keine Jobtitel. Wer das nicht glauben mag, kann auf der Website Ansprechpartner finden, die zwar ihre Doktortitel tragen, aber sonst einfach nur zuständig sind für etwas…
5. Zappos
Zappos war als Onlineschuhhändler Vorreiter von Zalando und gehört heute zu Amazon. Das Unternehmen schaffte vor zwei Jahren seine Chefs ab und führte kürzlich die Holokratie ein, mehr. Das bedeutete einen Abschied von Jobtiteln für alle. Das stieß nicht überall auf Gegenliebe, viele Manager verließen das Unternehmen – durchaus gewollt. Dazu findet sich bei Linkedin ein radikales Statement von Gründer Tony Tsieh „Adopt Holcracy or leave“.
- Weitere 6 Fallbeispiele zu innovativen Unternehmen lesen Sie im Artikel über Teamwerte, u.a. Haufe Umantis.
- Noch mal 5 Fallbeispiele aus dem Kontext der New Work gibt es hier, New-Work-Unternehmen.
- Video zur Führung und Selbstorganisation, hier unser Teamvideo.
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Liebe Frau Hofer,
Vielen Dank für die kurze Zusammenfassung… leider hat sich der Fehlerteufel an mehreren Stellen eingeschlichen… vermutlich insgesamt nicht so ganz wirklich schlimm, nur bei Buurtzorg und der Mitabeiter*innenzahl kann ich einfach nicht widerstehen: es sind aktuell 10.000. Das weiss ich nur deshalb so genau, weil ich in den letzten Wochen mehrfach in Almelo war und eine Vielzahl von Präsentationen gesehen/gehört habe…
Außerdem finde ich es schwierig, wenn wir den Fokus auf die Einsparung von Zeit und Geld in der Pflege legen, dort liegt er nämlich gerade NICHT. Das ist ein schöner Begleiteffekt, hilft und aber nicht, wenn wir das mehr als genug von Zeitnot gebeutelte Pflegepersonal bei einem Umwandlungsprojekt ins Boot holen wollen.
Und das wollen wir. Unbedingt…
Herzliche Grüße aus Berlin, Uta Kirchner
Liebe Frau Kirchner, vielen Dank für die Hinweise! Auch kann ich Ihre Argumentation bezüglich des Pflegepersonals nachvollziehen. Der Text wurde inzwischen überarbeitet. Buurtzorg ist ein tolles Beispiel dafür, wie Arbeiten im Team Motivation, Engagement und Kreativität wieder nach vorn bringen kann. Vielleicht haben Sie Lust bei unserem nächstes Webinar „Führungskraft als Teamentwickler“ am Freitag zu zuhören und mitzumachen? Gern sende ich Ihnen ein Einladung zu. Ich freu mich über Ihre Rückmeldung!